0991 - Der Kopf des Vaters
Obwohl der Keller in den Stein des Bergs hineingeschlagen war und aus einer felsigen Umgebung bestand, konnte man ihn nicht als unheimlich bezeichnen. Das mochte an der modernen Einrichtung liegen. Es gab nur einen Raum, den die unterschiedlich gewachsenen Felswände umschlossen, aber er war mit dem gefüllt, was in einen Keller gehörte.
Kopfhohe Regale aus Metall, in denen Weinflaschen, Sekt und auch Bier lagerten. Eine Werkzeugkiste, dazu das größere Werkzeug, das in Haltern an der Wand hing, ein offener Schrank mit Konserven, alte Zeitungen, wohl gebündelt, bildeten einen Turm aus Papier, und dazu kam der graue, glatte Estrichboden, der aussah wie ein düsterer Spiegel.
Auf ihm klebten ebenfalls braune Flecken. Andenken an den toten Emilio Sargasso.
Wie gesagt, ein normaler Keller - wenn nicht dieser fremde Geruch gewesen wäre.
Er ließ sich nicht vertreiben. Er schien sogar noch Nachschub zu kriegen.
Die Frau hatte die Machete an der Wand hängen lassen. Auf leisen Sohlen bewegte sie sich vor, als wollte sie bewußt durch den Keller schleichen und dabei von niemandem gesehen werden.
Sie ging zur Querwand des Raumes. Das Material war nicht geglättet worden, so hatte man den Keller auch nicht voll ausnutzen können, denn die Regale und der Schrank standen mehr in den Raum hineingestellt.
Dahinter gab es noch Lücken, so groß, daß sich ein Mensch hineinschieben konnte.
Carina Sargasso hatte ein Ziel. Es stand an der Querwand des Kellerraums. Sie wußte, wer dort lag. Trotzdem trieb es sie immer wieder hin, weil sie ihren Triumph auskosten wollte. Sie wiederholte ihn einfach.
Sie konnte nicht vorbeischauen, sie wollte alles sehen, immer und immer wieder.
Jeder Besucher hätte den Gegenstand sehen können. Und nicht jeder hätte ihn sofort identifiziert, denn beim ersten Hinsehen sah er aus wie ein Sarg.
Das war er allerdings nicht. An der Felswand und in den Kellerraum hinein geschoben stand ein sargähnlicher Gegenstand. Tatsächlich aber war es ein Trog aus Stein.
Nicht poliert, nicht behauen. Eine sehr schlichte Wanne. Lang wie ein Kanu, doch nicht aus Holz bestehend, dafür aber ausgehöhlt, so daß ein Mensch durchaus seinen Platz finden konnte, wenn die Arme eng am Körper anlagen.
Das war bei dieser Leiche der Fall. Sie wirkte wie eingeklemmt in dieser Troghälfte. Der Tote trug Schuhe, deren Spitzen nach oben zeigten. Die Beine wurden von einer braunen Hose verdeckt. Ein weißes Hemd steckte im Hosenbund fest. Es war besprenkelt mit braunen Flecken. Sie sahen aus wie überdimensionale Sommersprossen. Außerdem war das Hemd am Kragen zerfetzt worden, denn die Frau hatte mehrmals zugeschlagen, als sie ihren Mann tötete.
Sie kicherte. Plötzlich leuchtete der Wahnsinn in ihren Augen, als sie über die kopflose Leiche hinwegschaute. Wo sich eigentlich der Kopf hätte befinden müssen, lag eine Blutlache auf dem Boden. Sie war bereits nachgedunkelt und etwas eingetrocknet.
Carina war zufrieden. Ihre Lippen zuckten. Es war ihr Meisterwerk. Sie hatte es tun müssen. Lange Jahre hatte sie damit gewartet und in dieser Zeit verdammt gelitten, aber hier in Spanien hatte sie endlich zuschlagen können.
Sie war sehr zufrieden, und dieser Ausdruck zeichnete sich auch auf ihrem Gesicht ab.
Die Leiche lag bereits einige Tage in dem Trog. Sie verweste allmählich.
Der Gestank würde bleiben, und er würde auch irgendwann einmal nach oben in die Räume ziehen. Das war Carina egal. Sie hatte ihren Plan, sie würde davon nicht abweichen, denn sie sollte zuschauen, wie der Tote allmählich verweste.
Ja, das mußte sie haben. Lange Jahre, fast ein ganzes Menschenleben lang hatte sie immer nur gekuscht. Sie hatte getan, was ihr Mann wollte.
Immer wieder hatte sie nachgeben müssen. Das war nun vorbei. Jetzt war sie die Siegerin, und sie genoß es jeden Tag. Emilio hatte sich zur Ruhe setzen, aber er hatte den uralten Riten nicht abschwören wollen, und deshalb hatte sie ihn umgebracht.
Die Liebschaft mit der Hexe hatte ihn auf einen Weg gebracht, der nicht gut sein konnte. Ein Wechselbalg war aus dieser Verbindung entstanden, einer der morden mußte, weil es in seinen verfluchten Genen so geschaffen worden war. Sie wußte nicht viel über den Sohn.
Sie wollte es auch nicht wissen. Es war ihr alles egal. Sie brauchte ihn nicht, aber sie hatte ihre Rache haben wollen.
Und sie hatte sie genossen.
Hier unten im Keller war Emilio gestorben. Sie hatte das Blut abtropfen lassen, hatte den Kopf mitgenommen,
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