1 Fatale Bilanz - Ein Hamburg-Krimi
Schwammiges, Aufgedunsenes bekommen und der Bauchansatz war unübersehbar, trotz des Maßanzugs. Anscheinend forderte sein Lebensstil allmählich seinen Tribut. Alex’ Mitgefühl hielt sich in Grenzen.
Kranz’ Sekretärin schlug mit einem Löffel gegen ein Glas, und das Stimmengewirr verstummte.
»Die Rede schenke ich mir«, flüsterte Alex einer Kollegin zu.
»Du hast es gut. Wenn er sieht, dass ich abhaue, bekomme ich später Ärger.«
Darauf hatte Alex gesetzt. Kranz’ Geltungssucht war berühmt. Bei einer Rede von ihm zu verschwinden, käme einem Affront gleich, aber für sie galten diese Beschränkungen nicht mehr.
Unauffällig näherte sich Alex der Tür und wartete, bis Kranz begann, Heinz’ Werdegang von der Ausbildung bis zum Tag des Ruhestandes zu schildern. Wie früher stand seine Sekretärin direkt neben ihm. Damit war der Weg ins Chefzimmer frei.
Ihr Puls raste, als sie Kranz’ Büro betrat. Seit ihrem Abschied hatte sich nichts geändert. Dieselben Mahagonimöbel und der schwarze Schreibtischstuhl aus Leder, der aufgeräumte Schreibtisch; nur Laptop, Telefon und die Ladestation für den Palm zeigten, dass hier gearbeitet wurde. Das Foto in dem goldenen Rahmen war neu. Ein Mädchen kurz vor dem Teenageralter und ein etwa dreijähriger Junge standen mit ihrer Mutter lachend an einem Strand, der aus einem Urlaubsprospekt stammen könnte. Ein flüchtiger Gedanke durchzuckte sie beim Anblick von Kranz’ Kindern, aber sie bekam ihn nicht zu fassen. Vielleicht fiel ihr später ein, was sie daran störte. Sie fotografierte das Bild mit ihrem Handy.
Einen Augenblick verharrte sie lauschend, aber nichts deutete drauf hin, dass sich jemand dem Büro näherte. Sie nahm den Palm in die Hand.
Die Vorliebe für die praktischen Mini-Computer war eine der wenigen Gemeinsamkeiten zwischen Kranz und ihr. Keiner vonihnen war bereit gewesen, seinen Palm gegen ein SmartPhone oder Blackberry einzutauschen, und beide waren sie zu bequem, ihre Daten durch ein Passwort zu schützen. Hoffentlich hatte er seine Gewohnheit nicht geändert.
Alex biss sich auf die Lippe und schaltete den Palm ein. Der Kalender begrüßte sie. Keine Spur von einem Passwort. Erst als ihre Lungen brannten, merkte sie, dass sie das Atmen vergessen hatte und schnappte nach Luft.
Sie nahm ihren eigenen Palm aus der Tasche, schaltete ihn ein und rief bei Kranz’ Gerät den Menüpunkt »Datensicherung« auf. Eine Liste mit möglichen Empfängern erschien auf dem Display: PC, mobiles Telefon … und ihr eigener Palm.
Via Bluetooth startete die Übertragung der Notizen, Termine, Adressen und Kalendereinträge. Ein blauer Balken zeigte den Kopierfortschritt an, der für ihren Geschmack viel zu langsam war.
»Nun, mach schon.« Alex ballte die Hand zur Faust.
Sie konnte nur abwarten, ihre Nervosität wuchs. Plötzlich klingelte Kranz’ Telefon. Alex schrak zusammen und starrte auf das Display. Nach zweimaligem Klingeln wurde der Anruf auf das Mobiltelefon der Sekretärin weitergeleitet.
Inzwischen waren achtzig Prozent der Daten übertragen. Sehr gut. Noch länger und ihre Fingernägel würden dran glauben müssen. Das hatte sie sich einfacher vorgestellt.
Endlich meldete ein dezentes Piepen die erfolgreiche Datensicherung. Hastig schaltete Alex den fremden Palm aus und stellte ihn zurück, dann steckte sie ihr eigenes Gerät in die Innentasche ihres Blazers. Es wäre ein Alptraum, wenn sie ihn jetzt verlor, aber irgendwie auch typisch für sie.
Mit zitterigen Knien verließ sie das Büro. Sie hatte noch keine fünf Meter auf dem Flur zurückgelegt, als hinter ihr mit einem lauten Knall eine Tür ins Schloss fiel. Erschrocken wirbelte sie herum und erstarrte. Kranz war aus der Herrentoilette gekommen, die direkt gegenüber seinem Büro lag. Hatte er siebeim Verlassen des Büros gesehen? Fragen konnte sie ihn kaum. Wortlos warf sie ihre Haare zurück und drehte sich um. Was sollte ihr hier schon passieren? Fröhliches Gelächter drang aus dem Besprechungszimmer. Der langweilige offizielle Part der Feier war anscheinend vorbei.
Die Ablenkung konnte sie gebrauchen. Alex schnappte sich das erstbeste Glas Sekt und stürzte es in einem Zug herunter. Den besorgten Blick einer Kollegin quittierte sie mit einem Lächeln.
»Kranz. Er treibt mich immer noch in den Wahnsinn. Aber keine Sorge, es bleibt bei dem einen Glas. Ich muss noch fahren, aber vorher treffe ich mich noch mit einer Freundin.«
»Es wäre auch fürchterlich, wenn er dich in
Weitere Kostenlose Bücher