1 - Schatten im Wasser
Eintritt erhob er sich schwankend. »Ich hoffe, Sie kommen, um mir zu berichten, dass Ihr Herr Vater zurück ist«, knurrte er und fixierte sie dabei mit blutunterlaufenen Augen.
»Nein. Aber ich möchte Sie bitten, mich im Beiboot übersetzen zu lassen. Ich wil mich im Dorf umhören. Vielleicht ist dort etwas bekannt.«
Er schnaubte. »Auf keinen Fall kann ich das erlauben, Fräulein le Roux, schließlich sind Sie nur eine Frau. Nein, das geht nun wirklich nicht. Welch ein Ansinnen! Schicken Sie einen Boten.« Ohne sie anzusehen, klopfte er seine Pfeife aus, holte seinen Tabakbeutel hervor und begann, sie neu zu stopfen. Glaubte diese junge Person denn, das Schiff und seine Mannen wären nur zu ihrer Verfügung?
»Einen Boten?«, schrie sie aufgebracht; sie konnte ihm seine Gedanken vom Gesicht ablesen. »Wie denn? Wen denn? Ich kenne hier keinen Menschen, den ich schicken könnte, außer einen Ihrer Matrosen, und wie ich Sie einschätze, würden Sie das nicht zulassen. Ich weiß ja auch nicht, wo mein Vater sich aufhält. Ich wil , dass Sie mich sofort an Land bringen lassen. Sie werden schließlich von uns bezahlt.« Sie stand kerzengerade vor ihm. »Basta«, fügte sie nachdrücklich hinzu. Was fiel diesem Menschen ein? Sicherlich hatte er noch nie einen so bequemen Auftrag gehabt wie diesen. Er bekam eine beachtliche Summe, nur um ihren Vater ein paar Meilen den Kongofluss hinaufzubringen und danach sicher bis zur Hafenstadt Kapstadt am Süd
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zipfel Afrikas, wo sie einen längeren Aufenthalt geplant hatten. Weiter gab es nichts für ihn zu tun. Er saß nur faul herum und aß, trank und rauchte.
Unverschämter Kerl. Es war sicher der Rum, der aus ihm sprach.
»Aufgeblasener Mehlsack«, pflichtete ihr Grandpere bei und brachte sie zum Lächeln.
»Was wollen Sie als Frau allein im Urwald ausrichten, bei allem Respekt, Fräulein le Roux, das ist unmöglich. Viel zu gefährlich.« Er blies seine Wangen auf, streckte den feisten Bauch vor und runzelte seine schwarzen Brauen aufs Fürchterlichste. Das schüchterte noch jeden von seiner Mannschaft ein.
Nicht so die Frau ihm gegenüber. Völlig unbeeindruckt funkelte Catherine ihn an. »Deswegen möchte ich auch, dass Sie mir einen Ihrer Männer als Begleitung mitgeben. Das ist in der Charter enthalten, sagte mir mein Vater, und ob nun er an Land zu gehen wünscht oder ich, macht überhaupt keinen Unterschied. Solange er nicht an Bord ist, bin ich es, die Ihnen Anweisungen gibt. Also, ein wenig Beeilung, wenn ich bitten darf!«
Ihr Ton war ein Echo der Stimme ihres Vaters. Sie zerrte ungeduldig an ihrem Rock. Er behinderte sie bei jeder Bewegung, erschien ihr als das Symbol ihrer Machtlosigkeit als Frau.
Und so geschah es. Der Kapitän grollte und polterte, gab dann aber unvermutet nach. Griesgrämig beobachtete er Catherine le Roux, die zusammen mit einem kräftigen, jungen Matrosen ins Beiboot stieg, und wünschte ihr insgeheim die Pest an den Hals. Mit dem leicht auffrischenden Wind im Rücken landete das Kanu unbehelligt in der Lücke im Mangrovengürtel. Catherine stieg an Land und versank sofort knöcheltief im warmen Uferschlick. Als sie ihre Füße wieder herauszog, blieb einer ihrer Schuhe stecken. Sie grub ihn aus und schlüpfte auch aus dem anderen.
Barfuß, die Schuhe baumelten ihr vom Finger, stapfte sie weiter. Im Nu war der Saum ihres Baumwollkleides bis zum Knie mit Schlamm verschmiert.
Wilma würde außer sich sein. Der Gedanke erheiterte sie. Wilma hatte so etwas Altjüngferliches, Schmallippiges. Es bereitete ihr Vergnügen, ihre Kusine aus der Fassung zu bringen.
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»Hier, tragen Sie meine Schuhe«, befahl sie dem Matrosen, der eben das Boot an einem umgestürzten Stamm festband, raffte mit beiden Händen ihren Rock und betrat die Baumkathedrale des Urwalds.
Halbdunkel umfing sie, faulig riechende, feuchtheiße Waschküchenluft schlug ihr entgegen. Große rote Ameisen schwärmten ihre bloßen Beine hinauf, verbissen sich in ihrer Haut, Mücken umtanzten sie in dichten Wolken, blau schil ernde Fliegen kitzelten ihre Mundwinkeln. Sie spuckte aus, riss ein Palmblatt ab, wedelte die Insekten weg und sah sich dabei um.
Trotz der gleißenden Mittagszeit erhellte nur gelegentlich ein diffuser Sonnenstrahl das Dämmerlicht. Weiter als dreißig Fuß in den Wald hinein konnte sie nichts erkennen. Hoch über ihr rauschten die Baumriesen im stärker werdenden Wind, und als sie über den Strom zum Schiff blickte, erkannte sie an der
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