1 - Schatten im Wasser
schon, vorwärts«, befahl sie.
Ein Donnerschlag krachte, dass sie einen erschrockenen Satz machte, sie verhedderte sich in ihrem Rock und fiel auf die Hände. Schwerfällig rappelte sie sich auf. Etwas Aalglattes, Glitschiges wand sich heftig unter ihrem nackten Fuß. Sie sprang ungeschickt zur Seite, verlor das Gleichgewicht und landete nunmehr der Länge nach, das Gesicht nach unten, im Dreck. Wutentbrannt rappelte sie sich auf, kratzte sich den Matsch aus den Augen und schrie vor Zorn und Enttäuschung. Sie war ihrem Vater keinen Schritt näher, und ihr Kleid war ruiniert. Die Flecken würde sie aus dem hellen Stoff nie wieder herauswaschen können, und sie besaß an Bord nur noch ein Kleid zum Wechseln und ein gutes aus Krepp für Landgänge im Hafen. Mehr hatte ihr Vater nicht erlaubt. Er brauchte den Platz für seine Gläser und Döschen.
»Wir müssen das Beiboot finden«, murmelte der Matrose, den Blick noch immer auf ihren Beinen. Auf ihre scheuchende 31
Handbewegung hin tappte er mit ausgestreckten Armen an ihr vorbei in den Nebel. Immer wieder fiel er der Länge nach in den glucksenden Schlick, bis er schließlich einfach auf den Knien weiterkroch.
»Ich hab's, kommen Sie her«, hörte sie ihn endlich rufen. Mühsam arbeitete sie sich durch den zähen Morast zu ihm vor. Der Matrose wartete auf dem umgefallenen Baumstamm, an dem er das Boot festgebunden hatte.
»Teufel auch, ich kann das Schiff nicht erkennen. Wir müssen hier warten, bis der Spuk vorüber ist. Geht meist schnell vorbei. Kann aber auch Tage dauern«, murmelte er und zerdrückte ein paar voll gesogene Mücken auf seinem behaarten Arm. Sie platzten und verspritzten Blut.
Seine helfende Hand abwehrend, stieg sie in das schmale Kanu und kauerte sich ins Heck, sah nichts außer diesem undurchdringlichen, gleichmäßigen Grau, hörte nichts als das Röhren des Sturms und das Tosen der Regenmassen, konnte an nichts anderes denken als daran, wo ihr Vater sich jetzt befinden und wie es ihm in diesem Unwetter ergehen mochte. Bild schob sich vor Bild vor ihrem inneren Auge, jedes entsetzlicher als das vorher, und bald ergriff die Angst um ihn vollkommen von ihr Besitz. Sie bestand nur noch aus diesem stechenden, heißen Gefühl, das ihr Herz zum Rasen brachte und ihr die Kehle abdrückte. Es war ihr noch nicht klar, dass es nicht nur die Angst um ihren Vater war, die sie gepackt hielt, sondern auch die um sich selbst und ihre Zukunft.
»Schlimmes Unwetter«, bemerkte der Matrose.
Sie antwortete nicht, zog die Knie an und verbarg ihren Kopf in den Armen. Lockere Konversation mit diesem Mann zu machen, überstieg jetzt ihre Kräfte. Heftiges Jucken an ihren Beinen lenkte sie ab und machte sie auf ein gutes Dutzend Blutegel aufmerksam, die sie als Nahrungsquelle nutzten. Angeekelt machte sie sich daran, die Tiere von ihren nackten Beinen zu entfernen. Jeder der Blutsauger hinterließ eine rote Stelle auf ihrer Haut, und bald sah sie aus, als litte sie an einer bösartigen Krankheit.
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Glücklicherweise wurde der Regen schon weniger, und obwohl die Sicht nicht viel besser war, erkannten sie doch im Nebeldampf die schemenhaften Umrisse des Seglers. Kurz darauf reichte der Kapitän ihr die Hand, um ihr das Fallreep hinaufzuhelfen.
Wilma Jessel lehnte käsebleich und zitternd an der Reling. »Was hast du dir nur dabei gedacht, du dummes Kind«, zeterte sie, hob die Hand, als wollte sie zuschlagen, ließ sie dann aber sinken. »Wie kannst du es wagen, meine Anordnungen so zu missachten. Wart nur, was dein Vater dazu sagt.
Und wie du wieder aussiehst ... mein Gott, deine Beine sind ja nackt!«, kreischte sie. »Bedecke sie auf der Stelle!« Wie immer, wenn sie aufgeregt war, lispelte sie, und Schweißperlen schimmerten auf ihrer kurzen Oberlippe. »Und was wäre, wenn dir etwas zugestoßen wäre ... die Wilden hier ... Schlangen, Krokodile ...«
»Ja, ja, und Löwen, böse Waldgeister und Kannibalen«, unterbrach sie Catherine schroff. »Wie du siehst, hat mich keiner gefressen. Mir ist nichts weiter passiert, als dass ich nass geworden bin und ein paar Männer meine nackten Fußknöchel gesehen haben. Und jetzt gib endlich Ruhe, ich mag dein Gekeife nicht mehr ertragen.« Damit schob sie ihre Kusine zur Seite und verschwand in ihrer Kabine.
Mit bebenden Händen löste sie den Rockzipfelknoten, zog das verschlammte Kleid aus und ließ es einfach auf den Boden fallen. In Hemd und knielanger Unterhose warf sie sich aufs Bett. Ihre Haare
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