1 - Schatten im Wasser
zerbrechen. Nach ein paar Schritten hob sie wieder ihren Blick.
Es war keine Sinnestäuschung, es war ein Mann, und er war näher gekommen, schon konnte sie erkennen, dass er kein Hemd trug, dass er groß war, außergewöhnlich groß sogar. Sie blieb stehen. Plötzlich hatte sie Mühe zu atmen, konnte sich nicht erklären, warum ihr Herz so hämmerte.
Auch er war jählings stehen geblieben, stand so, dass das Sonnenlicht ihn von vorne traf.
Seine Haut war nicht dunkel wie die eines Zulus, nur sonnenverbrannt, und er war hager geworden, sein Gesicht von den Strapazen der vergangenen Tage schwer gezeichnet. Er trug nur noch eine schlammverkrustete, zerfetzte Hose, seinen Oberkörper bedeckten unzählige Wunden, ein riesiger, schwarzblau angelaufener Bluterguss zog sich quer über seinen Brustkorb von
765
der Halsgrube bis zum Hosenbund, der Stoffstreifen, den er um seine linke Hand gewickelt hatte, war mit schwarzem Blut verkrustet, aber er lachte und rief ihren Namen und fing sie auf, als sie in seine Arme rannte.
Ihr Mann. Ihr Leben. Ihre Zukunft.
Seine Wärme floss durch ihren Körper, sein kräftiger Pulsschlag füllte die Leere in ihr, und die tödliche Kälte wich. Mit jeder Faser ihres ausgehungerten Körpers spürte sie seine Arme um sich, fühlte sein Herz im Takt mit ihrem schlagen, sog seinen Geruch in sich hinein. Er lebte, und er war wieder bei ihr. Nichts anderes zählte.
Ihr Blick wanderte hinüber zu dem Kreuz auf dem neu aufgeworfenen Grabhügel im Schatten des Büffeldornbaums. Sie würde es zerbrechen können. Der Fluss unter ihnen schwatzte leise mit den Felsen, Zikaden sangen, vom Haus trug der leichte Wind Viktorias helles Stimmchen zu ihnen herüber, und unter seiner Hand, die auf ihrem Bauch lag, bewegte sich ihr Kind.
»Mein Vater hat es mir damals versprochen«, flüsterte sie. »>Du wirst wissen, wenn du dein Glück gefunden hast<, sagte er. >Es wird funkeln und schimmern, und dein Herz wird singen.«
Sie tat einen langen, tiefen Atemzug. »Er hat Recht gehabt.«
* * *
766
Hinter dem Horizont, weit in der Zukunft, zogen schwarze Wolken auf, und Donner rollte über die Hügel. Nur wer genau hinhörte, wer wusste, worauf er zu lauschen hatte, konnte ihn vielleicht vernehmen.
Es waren Jakots Worte, die dichter wurden und lauter, die sich zusammenballten und Kraft sammelten. Noch waren sie zu leise und schwach, noch sollte es dauern, ehe sich das Unwetter entladen würde.
Nicht plötzlich würde es kommen, wie die Himmelsschlange, sondern langsam, stetig, unaufhaltsam und zerstörerisch wie eine tödliche Krankheit.
Eines Tages aber würde der Donner alles übertönen, würden die Blitze die Welt in Brand setzen. Jakots Prophezeiung würde Wirklichkeit werden, und kein Mensch in Zululand, schwarz oder weiß, würde diesen Tag je vergessen.
Weitere Kostenlose Bücher