1 - Schatten im Wasser
Heimweg. Ihre Schaufel geschultert, ging sie den schmalen Pfad entlang, der durch die grasbewachsene Talsohle führte. Der Tag war heiß, die Sonne gleißte, und die Luft schimmerte über den Hügeln. Dunst verwischte alle Konturen, und Hitzespiegelungen spielten ihr einen Streich, täuschten Wasser vor, das nicht da war, ließen sie Dinge sehen, die es nicht gab. Ein Schwärm Perlhühner flog gackernd auf. Etwas musste sie aufgestört haben. Sie sah genauer hin und sah einen Mann auf sich zukommen. Doch eine Herde Paviane fegte aus dem Busch über den Weg.
Staub wirbelte auf. Blätter flogen. Das Bild zersplitterte, es war eine Sinnestäuschung gewesen, ihr verzweifeltes Wunschdenken. Sie spannte alle Muskeln an, schluckte ihre Tränen hinunter, verhinderte mit übermenschlicher Kraftanstrengung, dass dieses Wunschdenken, dieses brüllende, schreiende Verlangen nach ihm in ihr Oberhand gewann.
Ihre Lippen waren taub, ihre Haut, ihre Glieder. Ihr Herz. Mechanisch setzte sie einen Fuß vor den anderen, hielt den Kopf 763
wie gegen einen Sturm gebeugt, versuchte, die nächsten Tage zu planen.
Mila und Pierre waren auf dem Weg, und dafür war sie zutiefst dankbar. Die Geburt war nicht mehr lange hin, sie hatte ein Kleinkind, und ehe sie ihre Farm allein bewirtschaften konnte, hatte sie noch sehr viel zu lernen.
Ihre Farm. Inqaba. Sie blieb abrupt stehen. Aus Dankbarkeit für die Rettung seines Sohnes Sipho hatte König Mpande Johann das Land zum Siedeln gewährt. Würde er dulden, dass sie und ihre Kinder dort weiter lebten? Ihr Herzschlag geriet aus dem Takt, als ihr klar wurde, dass er sie des Landes verweisen konnte, einfach so, nach Lust und Laune. Inqaba, der einzige Ort, den sie Heimat nennen konnte, gehörte nicht ihr. Sie hatte keinerlei Rechte. Ihr wurde schwindelig, und sie brach in kalten Schweiß aus. Sie zwang sich, tief durchzuatmen, zwang sich mit aller Kraft, an die Möglichkeit zu glauben, dass sie vom König Heimatrecht erhalten würde.
Es durfte nicht anders ein. Langsam ging sie weiter. Sie würde zu ihm gehen und ihn darum bitten müssen. Wieder hielt sie inne. Er würde Geschenke erwarten. Einen Ochsenwagen voller Geschenke. Johann hatte sie ihm stets zum Umkosifest um die Weihnachtszeit gebracht, wenn das Fest der Ersten Frucht gefeiert wurde.
Fast hätte sie aufgelacht. Sie sah sich auf ihrem Planwagen vor dem königlichen Dorf ankommen, als einzige Frau, als weiße Frau unter Tausenden von federgeschmückten, nackten Zulus. Das Bild war grotesk.
Sie beschloss, es darauf ankommen zu lassen, einfach nichts zu tun, weiterzumachen, als sei nichts geschehen. Eben wollte sie weitergehen, als eine Erkenntnis sie plötzlich und verheerender traf als ein Feuerblitz aus heiterem Himmel.
Alvaro de Vila Flors Gold war für immer verloren, vom Sturm in alle Windrichtungen verstreut. Sie hatte kein Geld. Überhaupt keins. Kein Geld, die Farm weiterzuführen, kein Geld, dem König Geschenke zu machen, kein Geld, auch nur das Notwendigste zu kaufen, um ihr und ihrer Kinder Überleben zu sichern. Blindlings suchte sie am nächsten Baum Halt, stand mit gebeugtem Nacken da, krümmte sich immer mehr, während Schlag auf Schlag diese Gedanken auf sie niederprasselten.
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Sie würde Inqaba verlieren, und sie besaß keinerlei Mittel, sich in Durban niederzulassen, geschweige denn die Passage nach Deutschland zu bezahlen, um dort bei Adele unterzukriechen. Ihr Leben befand sich in freiem Fall. War das die Strafe, die Gott ihr zugedacht hatte, für das, was sie mit Konstantin getan hatte, diesen einen Augenblick von Verrücktheit?
Sie drückte die Stirn gegen die raue Rinde. Unter ihr rauschte der Fluss dahin, ein stetiges, hypnotisches Geräusch, das an ihr zerrte, ihr zuflüsterte, einfach loszulassen und sich zu ergeben.
Im selben Augenblick trat ihr Kind um sich, und sie wusste, dass ihr dieser verführerische Ausweg versperrt war. Beide Hände in die Seiten gepresst, wartete sie ab, bis es sich beruhigt hatte. Dann machte sie den ersten schleppenden Schritt in das schwarze Loch, das ihre Zukunft war.
Ihr war kalt bis in die Knochen.
Die Sonne stand hoch und blendete sie, und wieder gaukelte ihr ihre überreizte Vorstellung das Bild eines Mannes vor, der den Weg herauf auf sie zukam. In der gleißenden Helligkeit wurde er zu einem tanzenden Schemen. Müde wischte sie sich über die Augen und ging weiter, ihre Sinne gefangen im Gefängnis ihrer Trauer. Sie musste sich zusammenreißen, sie würde sonst
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