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1 - Schatten im Wasser

Titel: 1 - Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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drückte er sich aus und ließ dabei seine eleganten Hände flattern. »Ich bin ein Griot, der Hüter unserer Geschichten, wie es schon mein Vater war und vor ihm der Vater seines Vaters, bis zurück in die Morgennebel unserer Zeit.« Durch das Unglück seien ihm seine Geschichten abhanden gekommen, doch um weiterleben zu können, müsse er diesen Schatz wieder finden. Nun schien es ihm, dass die Fremdlinge auch auf der Suche sein müssten, denn hatten sie nicht ihre Farbe verloren? Er bitte darum, sich ihnen anschließen zu dürfen.
    Louis le Roux rieb sich begeistert die Hände. »Unbedingt, unbedingt, mein Junge, wir werden gemeinsam unsere Farbe und deine Geschichten suchen.«
    Seitdem war César sein Schatten. Von der ersten Minute an entstand eine geistige Verbindung zwischen den zwei Männern, die viel tiefer ging als eine Freundschaft, und sie hatten sich nie wieder getrennt. Sogar ins kalte Deutschland folgte ihnen der Mann vom Niger später.
    Am Abend ihres ersten gemeinsamen Tages setzte sich der Griot neben Catherine und schwieg. Sie lauschte seinem Schweigen, denn es war angenehm und warm und roch nach Anis. An diesem Abend fand er noch keine Worte, doch am nächsten kamen zwei über seine Lippen, und am übernächsten ein paar mehr, bis sie das weiße Mädchen wie ein warmer Strom umspülten. Verstehen konnte sie ihn immer noch nicht, doch schon ein paar Wochen später beherrschte er Französisch und fand Worte in ihrer eigenen Sprache, die sie nie zuvor gehört hatte. César, der Griot, hatte seine Geschichten wieder gefunden.
    »Er weiß um die Dinge dieser Welt«, hatte Grandpére Jean bemerkt, als er den Mann aus Timbuktu kennen lernte, hatte 25
    sich jedoch nicht weiter darüber ausgelassen. Dass er große Stücke auf César hielt, war allerdings deutlich.
    »Unsere Seelen kennen sich«, erklärte ihr César einmal. »Sie können einander sehen.«
    Catherine hatte nicht wirklich verstanden, was er meinte, aber wie damals, als er diese Worte sprach, bereitete sich jetzt ein Gefühl von Ruhe in ihr aus. César würde über ihren Vater wachen, und so lange würde ihm nichts zustoßen. An diesen Gedanken klammerte sie sich, ließ keinen anderen zu. Sie lehnte sich vor. Eine der ledernen Schlaufen, die den Speer hielten, war verschimmelt und hatte sich gelockert. Sorgfältig zog sie sie wieder fest.
    Von einem Matrosen ließ sie sich einen Stuhl an Deck tragen und versuchte, sich mit Zeichnen von ihrer Sorge abzulenken. Schon nach einer Viertelstunde warf sie die Stifte hin und holte ihre Angel aus der Kabine, besorgte sich die Überreste der Fischmahlzeit vom Abend vorher und schnitt sie in kleine Köder. Mit geübten Handgriffen zog sie die Stückchen auf den Haken und fing tatsächlich einen Fisch. Geschickt löste sie den Haken aus dem Maul, hielt das Tier auf dem Boden fest und stach ihm mit dem Messer direkt hinter den Augen in den Kopf. Er zitterte noch einmal, dann war es vorüber. Sie ließ ihn auf die Planken fallen. Für sie und Wilma würde er reichen. Erneut zog sie einen Köder auf und warf die Angel ins trübe Wasser. Blicklos starrte sie den Fluss hinauf, bis ihr der Kopf schwamm, und mit jeder Minute, die verstrich, wuchs die Unruhe in ihr.
    Am Ufer zwischen den gebündelten, bleichen Luftwurzeln der Mangroven machten zwei Männer ihre schwer beladenen Einbäume fest.
    Aufmerksam schaute sie ihnen zu. Offensichtlich waren es Händler, die mit den Bewohnern der Dörfer entlang des Stroms Handel trieben. Traditionell erfüllten sie noch eine andere, sehr wichtige Aufgabe: Sie waren die lebende Tageszeitung. Auch sie hatte die Trommeln in der Nacht gehört.
    Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Männer etwas von ihrem Vater erfahren hatten, war immerhin gegeben. Ihr kam eine Idee. Kurz entschlossen zog sie die Angel ein, brachte den Fisch in die Kombüse und wies den Küchenjungen an, ihn auszunehmen
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    und zum Abendessen zu braten. Dann rannte sie in die Kabine ihres Vaters, wuchtete mit beiden Händen den Deckel seiner schweren, lederbezogenen Truhe hoch und stopfte sich eine Hand voll des bunten Plunders in die Rocktasche, den er als Bezahlung für die Eingeborenen stets bei sich führte. Sie drückte ihren Strohhut auf den Kopf und klopfte entschlossen an die Tür der Kapitänskajüte. Auf ein unverständliches Brummen hin trat sie ein.
    Der Kapitän saß am Kartentisch und hielt eine qualmende Pfeife zwischen den Zähnen, mit der linken Hand umklammerte er die Rumflasche. Bei ihrem

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