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1 - Schatten im Wasser

Titel: 1 - Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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durchnässten das Kapokkopfkissen, doch sie kümmerte sich nicht darum. Bedrückt schloss sie die Augen und ließ den Gedanken freien Lauf. Es war unwahrscheinlich, dass ihr Vater den Zeitpunkt seiner Rückkehr - der tatsächlich mit dem Kapitän abgesprochen war - so lange freiwil ig verzögert hatte. Noch unwahrscheinlicher war es, dass er sein Versprechen ihr gegenüber einfach vergessen hatte. Der einzige triftige Grund, den sie sich vorstellen konnte, war der, dass ihn ein Unfall oder eine Krankheit ereilt hatte oder er, Gott bewahre, in die Hände kriegerischer Eingeborener gefallen war. Man hörte von Händlern immer wieder allerlei unangenehme Geschichten über Gegenden im Wald, wo Weiße spurlos verschwunden waren. Zu-33
    sätzlich war es in diesem Unwetter unsinnig, auch nur daran zu denken, seinen Spuren zu folgen. Weder an Land noch zu Wasser würde sie vorwärts kommen.
    Ihre Lider wurden schwer, die Gedanken trieben in einem dunklen Strom von Mutlosigkeit dahin, sie wagte nicht, darüber nachzudenken, wie es ihr ergehen würde, sollte ihr Vater nicht aus dem Urwald zurückkehren. Er war immer da gewesen, in seinem Schutz hatte sie ihr Leben geführt, sorglos, kindlich unbekümmert, ohne sich Gedanken über Zukünftiges zu machen.
    Sie stand am Rande eines bodenlosen Abgrunds und starrte ins schwarze Nichts. Ihre Hände im Laken verkrallt, glitt sie in den Schlaf.
    Erst als eine Fliege ihre Nase kitzelte, schlug sie die Augen auf. Der Himmel über ihr wurde durch die Fenster in ordentliche Rechtecke geschnitten. Ins Gold des späten Tageslichts mischte sich schon das Blau der nahenden Nacht. In Minuten würde es stockfinster sein, und sie wäre zu tatenlosem Warten verurteilt. Unfähig, noch weiter stil zu liegen, stand sie auf und zündete eine Kerze an. In ihrem Schein wusch sie sich gründlich in der Waschschüssel, kämmte ihre verklebten Haare, flocht sie in einen festen Zopf und zog sich an.
    Dann nahm sie ihr verdrecktes Kleid, besorgte sich einen Eimer aus der Kombüse und ging an Deck. Im rasch sterbenden Licht schöpfte sie mit dem Segeltuchsack, der an einem langen Strick am Handlauf der Reling befestigt war, Wasser aus dem Fluss und füllte das Gefäß. Mit spitzen Fingern fischte sie einen Wässerwurm heraus und steckte ihr Kleid hinein.
    Zu Hause machte das die Waschfrau mit allerlei Mittelchen, und die Bü-
    gelfrau übernahm das Plätten. Hier hatte sie nur Flusswasser und grobe Seife, und obgleich sie kräftig schrubbte, gelang es ihr wie erwartet nicht, alle Schlammflecke aus dem Baumwollstoff zu entfernen. Das Kleid war dahin. In Kapstadt würde sie es irgendeiner Schwarzen schenken, die sicherlich sehr dankbar dafür wäre. Sie hängte es in die Wanten zum Trocknen.

    Mittlerweile war es stockdunkel, aber zu früh, um schlafen zu gehen. Um sich abzulenken, stopfte sie bei Kerzenlicht ein Loch 34
    in dem Ausgehrock ihres Vaters, sah auch den Rest seiner Kleidung durch, reparierte hier etwas, nähte dort einen losen Knopf wieder an. Doch ihr Kerzenvorrat ging zur Neige, und sie beschloss, zu Bett zu gehen. Sie hatte Ruhe ohnehin bitter nötig, denn seit ihr Vater und Cesar überfällig waren, schlief sie vor Sorge so schlecht, dass sie jeden Morgen bleiern müde aufwachte.
    Nach kurzem Zögern begab sie noch einmal zu Wilma und entschuldigte sich knapp für ihre heftigen Worte. Dann legte sie sich schlafen. Unter halb geschlossenen Lidern verfolgte sie das Mondlicht, das in breiten Streifen langsam durch ihre Kabine wanderte, und irgendwann fielen ihr die Augen zu. Aber nicht erholsamer Schlummer überkam sie, sondern sie glitt in den schwarzen Abgrund wirrer Träume. Immer wieder wachte sie auf, saß minutenlang verwirrt in ihrer Koje, war sich nicht sicher, welches ihre Wirklichkeit war, der Traum oder die stickige Kabine. Als der Morgen nahte, fiel sie in einen schweren Schlaf. Sie träumte von ihrer bisherigen Reise, den harschen Winden und dem kalten Grün der Nordsee, dem tiefen Blauschwarz des Atlantiks in der Bucht von Biskaya, deren Gestade von dichten Nebelschleiern verhüllt war, den turmhohen, gläsernen Wellen-bergen vor Spaniens Küste. Im Traum sah sie das Wasser unter dem Kiel allmählich klarer und blauer werden, die Dünung länger und flacher und hörte Cesars Stimme.
    »Horche genau hin, kannst du die Musik hören? Das ist der Wind in den Palmen meiner Heimat.«
    Und tatsächlich vernahm sie zarte Harfentöne, und ein verführerischer Gewürzduft stieg ihr in die

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