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1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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setzte mich vor den Kühlschrank. »Und du kannst es mir auch nicht sagen. Immerhin kann ich mich dir vorstellen. Ich bin Anton. Vor fünf Jahren hat sich herausgestellt, dass ich ein Anderer bin.«
    Der Laut, den die Eule von sich gab, erinnerte noch am ehesten an ein unterdrücktes Lachen.
    »Ja«, bekräftigte ich. »Erst vor fünf Jahren. Doch so was kommt vor. Ich hatte ungeheure Schwellenangst. Wollte die Zwielicht-Welt einfach nicht sehen. Und habe sie auch nicht gesehen. Zumindest so lange nicht, bis mir der Chef über den Weg gelaufen ist.«
    Offenbar interessierte die Eule das schon mehr.
    »Damals führte er eine praktische Übung durch. Er hat den Außendienstarbeitern beigebracht, wie man unerkannte Andere ausfindig macht. Dabei bin ich ihm über den Weg gelaufen …« Bei der Erinnerung musste ich grinsen. »Natürlich hat er meine Abschirmung durchbrochen. Alles andere war dann das reinste Kinderspiel … Ich habe den Adaptionskurs absolviert und danach in der analytischen Abteilung angefangen. Wobei … es eigentlich keine nennenswerten Änderungen in meinem Leben gab. Ich wurde ein Anderer, ohne es selbst zu merken. Dem Chef hat das zwar nicht gepasst, aber er hat keinen Ton gesagt. Meine Arbeit mache ich gut – und alles andere geht ihn nichts an. Aber vor einer Woche ist ein verrückter Vampir in Moskau aufgetaucht. Und ausgerechnet ich erhielt den Auftrag, ihn unschädlich zu machen. Angeblich, weil alle Fahnder anderweitig beschäftigt waren. In Wahrheit aber, damit ich auch mal Pulver roch. Vielleicht ist das ja sogar der richtige Weg. Aber in dieser Woche sind drei weitere Menschen gestorben. Ein echter Profi hätte dieses Pärchen innerhalb von vierundzwanzig Stunden geschnappt …«
    Ich hätte zu gern gewusst, wie Olga darüber dachte. Doch die Eule gab keinen Laut von sich.
    »Was ist also wichtiger, um das Gleichgewicht zu wahren?«, fragte ich sie dennoch. »Mich in der operativen Arbeit fortzubilden oder das Leben von drei absolut unschuldigen Menschen zu retten?«
    Die Eule schwieg.
    »Mit meinen normalen Möglichkeiten konnte ich Vampire nicht spüren«, fuhr ich fort. »Ich musste mich erst in Resonanz versetzen. Menschenblut habe ich aber nicht getrunken. Schweineblut musste reichen. Und all diese Präparate – du weißt ja, was ich meine …«
    Während ich über die Präparate sprach, stand ich auf, öffnete den Schrank über dem Herd und holte ein fest verkorktes Glas heraus. Von dem klumpigen braunen Pulver klebte nur noch ein letzter Rest am Boden, sodass es sich nicht lohnte, es in unserer Materialausgabe vorbeizubringen. Ich schüttete das Pulver ins Spülbecken und stellte das Wasser an, woraufhin ein würziger benebelnder Geruch die Küche erfüllte. Das Glas wusch ich aus und schmiss es dann in den Mülleimer.
    »Ich bin schon fast nicht mehr ich selbst gewesen«, bemerkte ich. »Und zwar im buchstäblichen Sinne. Als ich gestern Morgen von der Jagd zurückkam … ist mir vor dem Haus meine Nachbarin begegnet. Ich habe mich noch nicht mal getraut, sie zu begrüßen, weil die langen Eckzähne schon anfingen hervorzukommen. Und heute Nacht, als ich den Ruf vernommen habe, der dem Jungen galt … hat nicht viel gefehlt, und ich hätte mit den Vampiren gemeinsame Sache gemacht.«
    Die Eule sah mir in die Augen.
    »Glaubst du, dass mich der Chef deshalb ausgesucht hat?«
    Ein ausgestopfter Vogel. Ein paar Federn über einem Wattekern.
    »Damit ich sie mit ihren Augen sehe?«
    Im Flur ertönte die Klingel. Ich seufzte und breitete die Arme aus: Was soll ich machen, bist selber schuld, jeder x-beliebige Gesprächspartner ist besser als dieser langweilige Vogel. Auf dem Weg zur Tür schaltete ich das Licht ein, bevor ich öffnete.
    Vor mir stand ein Vampir.
    »Komm rein«, sagte ich. »Komm rein, Kostja.«
    Verlegen trat er von einem Bein aufs andere, kam dann aber doch herein. Als er sich das Haar glatt strich, merkte ich, dass seine Hände schweißnass waren und sein Blick unruhig umherirrte.
    Kostja war erst siebzehn. Er war von Geburt an Vampir, ein ganz gewöhnlicher, normaler Stadtvampir. Eine verdammt unangenehme Situation: Mit Vampiren als Eltern hat ein Kind kaum eine Chance, als Mensch aufzuwachsen.
    »Ich bringe die CDs«, brummelte Kostja. »Hier.«
    Ich nahm ihm den Stapel CDs ab, ohne mich darüber zu wundern, dass es so viele waren. Normalerweise muss man Kostja ewig hinterherrennen, bis er die Scheiben zurückgibt – er ist vergesslich bis zum

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