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1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Unterhose zurecht und rannte zum Fenster. Der ganze Mist, den ich zur Vorbereitung auf die Jagd in mich hineingekippt hatte, wirkte noch, und ich konnte jeden Gegenstand klar erkennen.
    Mit einem Ruck riss ich die Gardinen zur Seite. Zog die Jalousie hoch.
    Die Eule saß auf dem Fensterbrett. Sie blinzelte leicht – immerhin war es schon aufgeklart und damit für sie zu hell. Von der Straße aus dürfte natürlich nur mit Mühe zu erkennen gewesen sein, was für ein Vogel da vor dem Fenster im neunten Stock saß. Dafür wären meine Nachbarn, wenn sie denn herausgeschaut hätten, ziemlich von den Socken gewesen. Eine Schnee-Eule mitten im Zentrum von Moskau!
    »Was um alles …«, sagte ich leise.
    Ich hätte mich gern einer kräftigeren Ausdrucksweise bedient. Doch diese Gewohnheit hatte man mir gleich zu Beginn meiner Arbeit in der Wache abgewöhnt. Genauer gesagt, ich hatte sie mir selbst abgewöhnt. Wenn du ein-, zweimal einen dunklen Wirbelsturm über jemandem siehst, den du gerade in Grund und Boden geschimpft hast, fängst du sofort an, deine Zunge in Zaum zu halten.
    Die Eule sah mich an. Sie wartete.
    Überall spektakelten Vögel. Ein Schwarm Spatzen hatte sich etwas weiter weg in einem Baum niedergelassen und tschilpte in einem fort. Die Raben erfrechten sich schon stärker. Sie hatten den Balkon nebenan und die Bäume in der Nähe mit Beschlag belegt. Sie krächzten ohne Unterlass und sprangen immer mal wieder von den Zweigen und zogen ihre Kreise vorm Fenster. Ihr Instinkt sagte ihnen, dass sie fürderhin von einem derart ungewöhnlichen Nachbarn nichts Gutes zu erwarten hatten.
    Die Eule zeigte jedoch keinerlei Reaktion. Sie pfiff sowohl auf die Spatzen als auch auf die Raben – genauer, sie hätte es, wenn sie gekonnt hätte.
    »Was bist du denn für eine?«, murmelte ich, während ich das Fenster öffnete und dabei erbarmungslos das Papier zerriss, das im Winter gegen Zugluft über die Rahmen geklebt war. Der Chef hat seltsame Vorstellungen von meinem Partner … meiner Partnerin …
    Mit einem Flügelschlag kam die Eule ins Zimmer geflogen, setzte sich auf den Kleiderschrank und schloss die Augen bis auf einen Spalt. Als ob sie schon ein Jahrhundert hier gelebt hätte. Ob sie sich unterwegs verkühlt hatte? Wohl kaum, schließlich war sie eine Schnee-Eule.
    Während ich mich daran machte, das Fenster wieder zu schließen, dachte ich darüber nach, was ich als Nächstes tun sollte. Wie sollte ich mit ihr kommunizieren, wie sie füttern, und wie, bitte schön, sollte dieses gefiederte Wesen in der Lage sein, mir zu helfen?
    »Du heißt also Olga?«, fragte ich, nachdem ich mit dem Fenster fertig war. Durch die Ritzen zog es zwar noch, doch das konnte warten. »He, Vogel!«
    Die Eule öffnete das eine Auge ein wenig weiter. Sie scherte sich um mich fast genauso wenig wie um die wuseligen Spatzen.
    Mit jedem Augenblick kam ich mir blöder vor. Erstens kriegte ich hier einen Partner präsentiert, mit dem ich nicht kommunizieren konnte. Und zweitens war es ja eine Frau!
    Wenn auch eine Eule.
    Ob ich mir Hosen anziehen sollte? Ich stand vor ihr, mit nichts weiter an als meinen verknautschten Unterhosen, unrasiert, verschlafen …
    Ich kam mir wie der letzte Idiot vor, als ich meine Sachen zusammensuchte und aus dem Zimmer stolperte. »Entschuldigen Sie, ich bin gleich wieder da«, rief ich der Eule beim Hinausstürzen zu – der Pinselstrich, der mein Porträt vollendete.
    Wenn dieser Vogel tatsächlich das war, was ich vermutete, hatte ich nicht gerade den besten Eindruck gemacht.
    Eigentlich wollte ich unbedingt duschen, doch eine solche Zeitverschwendung durfte ich mir nicht leisten. Es musste reichen, wenn ich mich rasierte und mir den dröhnenden Schädel unter kaltes Wasser hielt. Auf einem Regal fand ich zwischen diversen Shampoos und Deos etwas Eau de Cologne, das ich normalerweise nicht benutze.
    »Olga?«, rief ich, während ich den Flur hinunterblickte.
    Ich entdeckte die Eule in der Küche, auf dem Kühlschrank. Wie tot saß sie da, ein ausgestopfter Vogel, der hier zum Scherz aufgestellt worden war. Fast wie beim Chef in der Vitrine.
    »Lebst du?«, fragte ich.
    Missmutig sah mich ein bernsteingelbes Auge an.
    »Schon gut.« Ich breitete die Arme aus. »Fangen wir von vorn an? Mir ist völlig klar, dass ich keine sonderlich gute Figur abgegeben habe. Und ich gestehe es ein: Das ist bei mir chronisch.«
    Die Eule horchte auf.
    »Ich weiß nicht, wer du bist.« Ich schnappte mir einen Hocker und

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