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1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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gemacht. Hab gedacht, ich könnte heute mal so richtig auftrumpfen, aber die kommen bestens ohne mich zurecht.«
    »Hast du es deshalb jetzt auch so eilig?«, wollte der Fahrer wissen. Er sah nicht sehr gesprächig aus, doch meine Worte hatten seine Neugier geweckt.
    »Sie haben mich hinbeordert«, sagte ich.
    Für wen er mich wohl hielt?
    »Und was machst du?«
    »Ich bin Programmierer«, antwortete ich. Eine ehrliche Antwort, nebenbei gesagt.
    »Klasse«, sagte der Fahrer und schnalzte anerkennend. Was sollte daran klasse sein? »Kann man davon leben?«
    Die Frage hätte er sich sparen können, schon allein deshalb, weil ich ja nicht mit der Metro fuhr. Trotzdem antwortete ich: »Durchaus.«
    »Ich frage nicht einfach so«, teilte mir der Fahrer unvermittelt mit. »In meiner Firma wird die Stelle des Systemadministrators frei …«
    In meiner Firma – natürlich.
    »Ich persönlich sehe darin einen Wink des Schicksals. Ich nehme einen Fahrgast mit, und der ist ein Programmierer. Ich glaube, Ihnen bleibt gar keine Wahl.«
    Er lachte los, als wolle er seine etwas zu sicher klingenden Worte abmildern.
    »Haben Sie schon mal mit Intranet gearbeitet?«
    »Ja.«
    »Bei mir hängen fünfzig Rechner am Netz. Das muss alles problemlos laufen. Wir zahlen gut.«
    Unwillkürlich musste ich schmunzeln. Das war nicht zu verachten. Intranet. Gutes Geld. Und niemand, der von mir verlangt, nachts auf Vampirjagd zu gehen, Blut zu trinken und in vereisten Straßen Spuren zu erschnüffeln.
    »Soll ich Ihnen meine Visitenkarte geben?« Die eine Hand des Mannes verschwand zielstrebig in der Tasche seines Jacketts. »Überlegen Sie es sich …«
    »Nein, vielen Dank. Bei meiner Dienststelle kann man leider nicht kündigen.«
    »KGB, oder was?« Der Fahrer runzelte die Stirn.
    »Gewichtiger«, antwortete ich. »Weitaus gewichtiger. Aber vergleichbar.«
    »Tja …« Der Fahrer verstummte. »Schade. Und ich hatte schon gedacht, das sei ein Zeichen von oben. Glaubst du ans Schicksal?«
    Leicht und unbefangen ging er zum Du über. Mir gefiel das.
    »Nein.«
    »Warum nicht?«, wunderte sich der Fahrer aufrichtig, als habe er es bisher ausschließlich mit Fatalisten zu tun gehabt.
    »Es gibt kein Schicksal. Das ist bewiesen.«
    »Wer hat das bewiesen?«
    »Die Leute bei mir auf der Arbeit.«
    Er prustete los.
    »Das ist gut. Dann hat das Schicksal also doch nicht gewunken! Wo soll ich dich absetzen?«
    Wir hatten bereits den Seljony-Prospekt erreicht.
    Angestrengt blickte ich hinaus und drang durch eine Schicht der alltäglichen Realität ins Zwielicht vor. Erkennen konnte ich nichts, dafür reichten meine Fähigkeiten nicht aus. Eher noch spürte ich etwas. In dem grauen Dunst blinkten jede Menge schwacher kleiner Feuer. Fast das ganze Büro musste sich versammelt haben …
    »Dort …« Jetzt, wo ich mich in der normalen Realität befand, konnte ich meine Kollegen nicht sehen. Ich stapfte durch den grauen Schnee der Stadt zu einer unter hohen Schneewehen begrabenen Grünanlage, die zwischen den Wohnblocks und dem Prospekt lag. Ein paar erfrorene Bäumchen, vereinzelt einige Linien von Fußabdrücken – als ob hier Kinder herumgetobt wären oder jemand im Suff versucht hätte, geradeaus zu gehen.
    »Du solltest ihnen zuwinken, sie haben dich schon gesehen«, schlug Olga vor.
    Ich dachte kurz darüber nach und befolgte ihren Rat dann. Sollen sie doch ruhig denken, ich könnte ganz hervorragend von einer Realität in die andere spähen.
    »Eine Besprechung«, sagte Olga amüsiert. »Fünf-Minuten-Lage …«
    Nachdem ich mich der Ordnung halber noch einmal umgeschaut hatte, beschwor ich das Zwielicht herauf und trat in es hinein.
    In der Tat hatte ich das gesamte Büro vor mir. Die ganze Moskauer Abteilung.
    In der Mitte stand Boris Ignatjewitsch. Er trug nur leichte Kleidung, einen Anzug und eine kleine Pelzkappe, dazu aber – warum auch immer – einen Schal. Ich stellte mir vor, wie er aus seinem BMW ausgestiegen war, eng umgeben von Bodyguards.
    Neben ihm hatten sich die Fahnder aufgebaut. Igor und Garik, Kampfspezis, wie sie im Buche stehen. Gesichter wie gemeißelt, quadratische Schultern, undurchdringliche stumpfe Mienen. Auf den ersten Blick war klar: Beide hatten acht Schulklassen, eine Berufsschule und eine Ausbildung in einer Sondereinheit hinter sich gebracht. Bei Igor stimmte das haargenau. Garik hatte jedoch außerdem noch an zwei Unis studiert. Bei aller äußeren Ähnlichkeit und einem fast gleichen Auftreten unterschieden sie

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