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1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Außenstehenden muss das ziemlich komisch ausgesehen haben. Vom Fehlen von Fußspuren ganz zu schweigen: Ich ragte in einer Schneewehe auf – um mich herum eine jungfräuliche Schneedecke.
    So entstehen Mythen. Aufgrund unserer Unvorsichtigkeit, aufgrund unserer zerrütteten Nerven, aufgrund dummer Scherze und demonstrativer Gesten.
    »Macht nichts«, sagte ich und stapfte geradenwegs auf den Prospekt zu.
    »Danke …«, klang es leise und zart an mein Ohr.
    »Wofür, Olga?«
    »Dass du an mich gedacht hast.«
    »Es ist wirklich wichtig für dich, diese Aufgabe gut zu erledigen?«
    »Sehr«, bestätigte der Vogel nach kurzem Schweigen.
    »Dann werden wir uns alle Mühe geben.«
    Indem ich durch die Schneewehe und über einige Steine sprang – ob es hier einen Gletscher gab oder jemand einen Steingarten hatte anlegen wollen? –, gelangte ich zum Prospekt.
    »Hast du Kognak im Haus?«, fragte Olga.
    »Kognak, sagst du? Klar.«
    »Guten?«
    »Schlechten gibt es nicht. Sonst ist es kein Kognak.«
    Die Eule schnaubte. »Dann lade eine Dame zu einem Kaffee mit Kognak ein.«
    Als ich mir die Eule vorstellte, wie sie aus einer Untertasse Kognak trank, hätte ich beinah losgelacht.
    »Mit dem größten Vergnügen. Nehmen wir ein Taxi?«
    »Sie scherzen, Bürschchen!«, wartete Olga prompt mit der passenden Replik aus den Zwölf Stühlen auf.
    Hört, hört. Wann war sie in den Vogelkörper eingeschlossen worden? Oder hinderte sie das nicht daran, Bücher zu lesen?
    »Es gibt da eine Einrichtung, die nennt sich Fernseher«, raunte der Vogel.
    Dunkel und Licht! Ich war überzeugt davon, dass meine Gedanken zuverlässig abgeschirmt waren!
    »Du kannst vulgäre Telepathie hervorragend durch Lebenserfahrung ersetzen – durch sehr lange Lebenserfahrung«, fuhr Olga verschmitzt fort. »Anton, zu deinen Gedanken habe ich keinen Zugang. Außerdem bist du mein Partner.«
    »Ich bin nur …« Ich fuchtelte mit der Hand. Es wäre dumm, das Offensichtliche zu leugnen. »Was ist mit dem Jungen? Oder lassen wir diesen Auftrag sausen. Der ist doch sowieso läppisch …«
    »Im Gegenteil!«, erwiderte Olga aufgebracht. »Anton … der Chef hat zugegeben, dass er sich nicht ganz korrekt verhalten hat. Und er hat uns eine Chance gegeben, die wir nutzen sollten. Die Vampirin ist auf den Jungen fixiert, nicht wahr? Er ist so was wie ein unangebissenes Wurstbrot, das ihr aus dem Mund gerissen wurde. Und er hängt an ihrer Leine. Damit ist sie in der Lage, ihn aus jeder Ecke der Stadt zu ihrem Versteck zu locken. Das ist unser Vorteil. Man braucht den Tiger nicht im Dschungel zu suchen, wenn man das Zicklein auf der Weide festbindet.«
    »In Moskau gibt es von solchen Zicklein …«
    »Der Junge zappelt an der Leine. Die Vampirin hat keine Erfahrung. Mit einem neuen Opfer Kontakt aufzunehmen wäre viel schwieriger, als das alte zu sich zu locken. Glaub mir.«
    Ich erschauerte und verdrängte einen idiotischen Verdacht. Mit einem Handzeichen hielt ich ein Auto an. »Ich glaube dir«, sagte ich finster. »Unbesehen und für immer.«

Vier
    Die Eule kam aus dem Zwielicht heraus, sobald ich die Wohnung betreten hatte. Sie flatterte auf – kurz spürte ich, wie die Krallen mich pikten – und flog auf den Kühlschrank zu.
    »Soll ich dir vielleicht eine Hühnerstange besorgen?«, fragte ich, während ich die Tür schloss.
    Zum ersten Mal sah ich, wie Olga sprach. Der Schnabel geriet ins Zucken, und sie brachte die Worte nur mit großer Mühe heraus. Ehrlich gesagt, ist mir immer noch schleierhaft, wie ein Vogel sprechen kann. Noch dazu mit einer derart menschlichen Stimme.
    »Nicht nötig, sonst leg ich noch Eier.«
    Offenbar sollte das ein Scherz sein.
    »Sollte ich dich beleidigt haben, täte es mir Leid«, meinte ich prophylaktisch. »Ich versuche nur, die Stimmung zu lockern.«
    »Ich weiß. Zerbrich dir darüber nicht den Kopf.«
    Bei der Inspektion meines Kühlschranks entdeckte ich ein paar Sachen, die wir zum Kognak essen konnten: Käse, Wurst, eingelegtes Gemüse … Wie wohl vierzig Jahre alter Kognak zu einer leicht gesalzenen Gurke steht? Wahrscheinlich wären beide etwas befangen. Genau wie Olga und ich.
    Ich holte den Käse und die Wurst heraus. »Zitronen habe ich nicht, tut mir Leid.« Mir war völlig klar, wie absurd meine Vorbereitungen waren, aber trotzdem … »Dafür ist der Kognak in Ordnung.«
    Die Eule schwieg.
    Aus der zur Bar umfunktionierten Schublade des Tischs nahm ich die Flasche Kutusow. »Hast du den schon mal

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