1 - Wächter der Nacht
zischte ich meine unsichtbare Gesprächspartnerin an: »Was hat meine Qualifikation damit zu tun?«
»Ein hochrangiger Wächter kann die Folgen eines Kompromisses absehen. Ist das wirklich ein kleiner Handel, der beiden Seiten nützt und wo keine Seite den Kürzeren zieht, oder ist es ein Kuhhandel, bei dem du mehr verlierst als gewinnst?«
»Ich glaube nicht, dass man mit einer Intervention siebten Grades etwas Schlimmes anrichten kann.«
Ein neben mir hergehender Mann starrte mich irritiert an. Ich wollte ihm schon sagen, dass ich »ein ruhiger und harmloser Irrer« sei. Ein äußerst probates Mittel gegen unerwünschte Neugier. Doch der Mann legte bereits einen Zahn zu – offensichtlich war er von sich aus zum gleichen Schluss gekommen.
»Anton, du kannst die Folgen nicht absehen. Du hast in einer belanglosen, unangenehmen Situation überreagiert. Dein bisschen Magie hat dazu geführt, dass sich die Dunklen eingemischt haben. Daraufhin bist du einen Kompromiss mit ihnen eingegangen. Am bedauerlichsten dabei ist, dass überhaupt keine Notwendigkeit zur magischen Intervention bestanden hat.«
»Schon gut, ich seh’s ja ein. Und was machen wir jetzt?«
Die Stimme des Vogels wurde kräftiger, gewann an Klangfarbe.
Wahrscheinlich hatte sie sehr lange kein Wort gesagt.
»Jetzt – nichts weiter. Hoffen wir das Beste.«
»Wirst du dem Chef von dem Vorfall berichten?«
»Nein. Noch nicht. Schließlich sind wir Partner.«
Mir wurde warm ums Herz. Fehler hin, Fehler her, aber die unerwartete Verbesserung der Beziehung zu meiner Partnerin war mir das wert.
»Danke. Was schlägst du vor?«
»Du machst alles richtig. Such die Spur!« Ein etwas originellerer Rat wäre mir lieber gewesen …
»Fahren wir.«
Mittags um zwei Uhr hatte ich nach der Ringlinie auch die gesamte graue Linie abgegrast. Mag ja sein, dass ich ein hundsmiserabler Fahnder bin, aber die gestrige Spur, die ich noch dazu selbst aufgenommen hatte, wäre nicht einmal mir entgangen. Die Frau, über der dieser schwarze Höllenwirbel kreiste, war nirgends auf dieser Strecke ausgestiegen. Offensichtlich musste ich noch einmal an dem Ort anfangen, wo wir uns begegnet waren.
An der Kurskaja verließ ich die Metro und kaufte an einem Stand eine Plastikschale Salat und einen Becher Kaffee. Beim Anblick der Hamburger und Würstchen wurde mir schlecht, auch wenn der Fleischanteil in ihnen nur symbolisch war.
»Willst du auch etwas?«, fragte ich meine unsichtbare Begleiterin.
»Nein. Danke.«
Während feine Schneeflocken auf uns niedersegelten, stocherte ich mit einer winzigen Gabel im Kartoffelsalat herum und nippte am heißen Kaffee. Ein Penner, der offensichtlich darauf gehofft hatte, dass ich Bier kaufen und ihm die leere Flasche überlassen würde, schlurfte davon, um sich in der Metro aufzuwärmen. Ansonsten kümmerte sich niemand um mich. Die junge Verkäuferin bediente ein paar ausgehungerte Kunden, in gesichtsloser Masse strömten die Menschen aus dem Bahnhof heraus und in ihn hinein. Der Verkäufer an einem Bücherstand versuchte lustlos, ohne jede Begeisterung, einem Käufer irgendein Buch aufzuschwatzen. Der Kunde konnte sich nicht entscheiden.
»Wahrscheinlich hab ich einfach eine Stinklaune …«, brummte ich.
»Warum das?«
»Ich sehe alles in einem trüben Licht. Alle Leute sind Schweine und Idioten, der Salat ist gefroren, meine Schuhe völlig durchgeweicht.«
Der Vogel auf meiner Schulter stieß ein amüsiertes Krächzen aus. »Nein, Anton, das liegt nicht an deiner Laune. Du spürst, wie das Inferno näher kommt.«
»Ich war nie besonders sensibel.«
»Eben.«
Ich sah zum Bahnhof hinüber. Versuchte, in den Gesichtern zu lesen. Einige von ihnen spürten es ebenfalls. Die Leute, die an der Grenze zwischen Mensch und Anderer standen, wirkten angespannt, bedrückt. Den Grund dafür konnten sie nicht erfassen, und doch versuchten sie nach außen hin, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.
»Beim Dunkel und beim Licht … Was steht uns bevor, Olga?«
»Alles Mögliche. Du hast den Ausbruch aufgeschoben, doch dafür werden die Folgen einfach katastrophal sein, wenn der Strudel zuschlägt. Der Verzögerungseffekt.«
»Davon hat mir der Chef nichts gesagt.«
»Warum auch? Du hast alles richtig gemacht. Jetzt haben wir zumindest eine Chance.«
»Olga, wie alt bist du?«, fragte ich. Würde man einem Menschen diese Frage stellen, könnte er beleidigt sein. Wir kennen jedoch keine bestimmten Altersgrenzen.
»Alt, Anton. Ich
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