1 - Wächter der Nacht
erinnere mich zum Beispiel noch an den Aufstand.«
»Die Revolution?«
»Den Aufstand auf dem Senatsplatz.« Die Eule stieß ein kurzes Lachen aus. Ich schwieg. Womöglich war Olga sogar noch älter als der Chef.
»Welchen Rang hast du, Partnerin?«
»Keinen. Mir wurden alle Rechte aberkannt.«
»Tut mir Leid.«
»Schon gut. Ich habe mich seit langem damit abgefunden.«
Ihre Stimme klang heiter, ja vergnügt. Trotzdem sagte mir irgendetwas: Olga hatte sich keinesfalls damit abgefunden.
»Falls es nicht zu aufdringlich ist … Warum haben sie dich in diesen Körper gesperrt?«
»Es gab keine andere Möglichkeit. Im Körper eines Wolfes zu leben ist viel schwieriger.«
»Moment mal …« Ich warf den restlichen Salat in einen Mülleimer. Als ich auf meine Schulter blickte, konnte ich die Eule natürlich nicht sehen – dafür hätte ich ins Zwielicht eintreten müssen. »Wer bist du? Wenn du ein Tiermensch bist, warum gehörst du dann zu uns? Wenn du eine Magierin bist, warum hast du dann eine derart seltsame Strafe bekommen?«
»Das tut nichts zur Sache, Anton.« Einen Augenblick lang war ihre Stimme schneidend wie scharfer Stahl. »Aber alles hat damit angefangen, dass ich mich auf einen Kompromiss mit den Dunklen eingelassen habe. Einen klitzekleinen Kompromiss. Ich hatte geglaubt, die Folgen einschätzen zu können, doch da hatte ich mich geirrt.«
So war das also …
»Hast du deshalb angefangen zu sprechen? Wolltest du mich warnen, hast aber den Zeitpunkt verpasst?«
Schweigen.
Als ob Olga ihre Offenheit schon bereute.
»Machen wir uns wieder an die Arbeit …«, sagte ich. In dem Moment piepte das Handy in meiner Tasche.
Es war Larissa. Warum musste sie zwei Schichten hintereinander übernehmen?
»Anton, pass auf … Wir haben die Spur von dem Mädel aufgenommen. Metrostation Perowo.«
»Mist«, sagte ich bloß. In diesen Schlafbezirken zu arbeiten, ist die reinste Qual.
»Stimmt«, bekräftigte Larissa. Als Fahnderin taugt sie nichts – wahrscheinlich macht sie deshalb Telefondienst. Dennoch ist sie eine kluge Frau. »Anton, sieh zu, dass du nach Perowo kommst. Alle unsere Leute ziehen sich da zusammen, um ihre Verfolgung aufzunehmen. Und noch was … Da schwirrt auch die Tagwache rum.«
»Alles klar.« Ich steckte das Handy wieder weg.
Mir war überhaupt nichts klar. Wussten die Dunklen etwa bereits über alles Bescheid? Und waren sie darauf aus, das Inferno losbrechen zu lassen? Und hatten mich gar nicht zufällig aufgehalten …
Quatsch. Eine Katastrophe in Moskau liegt überhaupt nicht im Interesse des Dunkels. Sicher, sie würden auch nichts unternehmen, um den Strudel aufzuhalten – das widerspräche ihrer Natur.
In die Metro ging ich dann doch nicht. Ich hielt ein Auto an, damit würde ich Zeit gewinnen, zumindest ein bisschen. Ich setzte mich neben den Fahrer, einen dunkelhäutigen Intelligenzler von etwa vierzig Jahren mit Adlernase. Der Wagen war neu, und auch der Fahrer machte den Eindruck eines höchst erfolgreichen Mannes. Insofern war es schon merkwürdig, dass er sich auf diese Weise etwas zuverdiente.
Perowo. Ein riesiges Viertel. Voller Menschen. Licht und Dunkel in einem unentwirrbaren Knäuel. Außerdem gab es da noch ein paar Gebäude, die dunkle und lichte Flecken nach allen Seiten warfen. Dort zu arbeiten hieß, bei Flackerlicht ein Sandkorn auf dem Boden einer überfüllten Diskothek finden zu wollen …
Ich konnte dort nur von geringem Nutzen sein, genauer gesagt – von gar keinem. Doch man hatte mich angewiesen, dorthin zu fahren, also musste ich es tun. Vielleicht wollte man mich bitten, eine Identifizierung vorzunehmen.
»Und ich dachte, wir würden Glück haben«, flüsterte ich und schaute auf die Straße hinaus. Wir fuhren über die Lossiny-Insel, ebenfalls keine sehr angenehme Gegend, da versammeln sich die Dunklen zum Hexensabbat. Und nicht immer werden dabei die Gesetze der normalen Menschen beachtet. An fünf Nächten im Jahr müssen wir alles ertragen. Oder fast alles.
»Hab ich auch gedacht …«, flüsterte Olga.
»Wie soll ich es denn mit den Fahndern aufnehmen?!« Ich schüttelte den Kopf.
Der Fahrer schielte zu mir herüber. Seinen Preis hatte ich ohne zu feilschen akzeptiert, und die Strecke hatte ihm offenbar auch gepasst. Aber ein Mensch, der mit sich selbst redet, ist halt niemandem ganz geheuer.
»Ich hab da eine Sache vermasselt …«, teilte ich dem Fahrer mit einem Seufzer mit. »Besser gesagt, ich habe es nicht ordentlich
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