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1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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üben mussten – er war ohne Hilfe ins Zwielicht eingetreten. Doch die Zwielicht-Welt tut nichts lieber, als Kraft auszusaugen.
    »Zieh!« Olga übernahm das Kommando. »Zieh ihn raus, mach schon! Von selbst wacht er nicht auf!«
    Leichter gesagt als getan. Ich hatte Erste-Hilfe-Kurse absolviert, musste aber noch nie jemanden tatsächlich aus dem Zwielicht herausziehen.
    »Jegor, komm zu dir!« Ich gab ihm ein paar Ohrfeigen. Am Anfang nur leicht, dann mit aller Kraft. »Was ist denn, Junge? Du bist in der Zwielicht-Welt! Aufgewacht!«
    Leichter und leichter wurde er, zerfloss mir unter den Händen. Das Zwielicht trank sein Leben, saugte die letzte Kraft aus ihm heraus. Das Zwielicht veränderte seinen Körper, nahm ihn in Besitz. Was hatte ich da bloß angerichtet!
    »Schirm dich ab!« Olgas Stimme war kalt, brachte mich zur Besinnung. »Schirm dich zusammen mit ihm ab … Wächter!«
    Normalerweise brauche ich mehr als eine Minute, um die Kugel entstehen zu lassen. Diesmal schaffte ich es innerhalb von fünf Sekunden. Schmerz explodierte in mir, als ob in meinem Kopf ein Minischuss losgegangen sei. Ich warf den Kopf in den Nacken, als die Negationssphäre aus meinem Körper heraustrat und mich einhüllte wie eine Seifenblase, die in allen Farben des Regenbogens schillert. Die Blase wuchs, blähte sich und nahm, wenn auch ungern, sowohl mich wie auch den Jungen in sich auf.
    »Gut, jetzt halte sie. Ich kann dir nicht helfen, Anton. Halte die Sphäre aufrecht!«
    Olga hatte Unrecht. Sie half mir bereits mit ihren Tipps. Vielleicht wäre ich auch selbst darauf gekommen, die Sphäre zu bilden, hätte jedoch womöglich wertvolle Sekunden verloren.
    Um uns herum klarte es auf. Das Zwielicht trank noch immer unsere Kraft, meine mit etwas mehr Mühe, die des Jungen in vollen Zügen, aber jetzt standen ihm nur ein paar Kubikmeter zur Verfügung. Die üblichen physikalischen Gesetze gelten hier zwar nicht, doch es herrschen bestimmte Analogien. Im Moment bildete sich in der Sphäre das Gleichgewicht zwischen unseren lebenden Körpern und dem Zwielicht heraus.
    Entweder würde sich das Zwielicht nun auflösen und von seiner Beute ablassen, oder der Junge würde sich in einen Bewohner der Zwielicht-Welt verwandeln. Für immer. Das passiert Magiern, wenn sie sich völlig verausgabt haben, aus Unachtsamkeit oder auch aus Notwendigkeit. Das passiert Neulingen, die sich nicht gegen das Zwielicht zu wehren wissen und ihm mehr geben, als sie dürften.
    Ich sah Jegor an: Sein Gesicht ergraute zusehends. Er war dabei, in die endlosen Weiten der Schattenwelt einzugehen.
    Während ich den Jungen in meinen rechten Arm bettete, zog ich mit der linken Hand ein Taschenmesser heraus. Mit den Zähnen klappte ich es auf.
    »Das ist gefährlich«, warnte Olga.
    Ich antwortete ihr nicht. Sondern schnitt mir einfach in den Unterarm.
    Als das Blut herausspritzte, zischte das Zwielicht auf wie eine glühend heiße Pfanne. Mir verschwamm alles vor den Augen – was nicht am Blutverlust lag, sondern daran, dass mit dem Blut auch das Leben selbst aus mir heraustropfte. Ich hatte meine eigene Verteidigung gegen das Zwielicht eingerissen.
    Dafür bekam es jetzt eine Portion Energie, die es nicht verdauen konnte.
    Die Welt klarte auf, mein Schatten sprang zu Boden, und ich trat durch ihn hindurch. Die regenbogenfarbene Membran der Negationssphäre barst – wir waren wieder in der normalen Welt.

Fünf
    Das Blut spritzte in einem dünnen Strahl auf den Teppich. Der Junge, der in meinen Armen hing, war immer noch bewusstlos, doch in sein Gesicht kehrte langsam die Farbe zurück. Im anderen Zimmer schrie der Kater, als würde er abgeschlachtet.
    Ich bettete Jegor aufs Sofa. Setzte mich neben ihn.
    »Olga, eine Binde …«, bat ich.
    Die Eule flog von meiner Schulter auf und sauste wie ein weißer Schnörkel in die Küche. Unterwegs musste sie ins Zwielicht eingetaucht sein, denn schon nach ein paar Sekunden kam sie mit einer Binde im Schnabel zurück.
    Jegor öffnete die Augen genau in dem Moment, als ich der Eule den Verband abnahm und mich daran machte, meine Hand zu verarzten.
    »Wer ist das?«, fragte er.
    »Eine Eule. Siehst du das denn nicht?«
    »Was war mit mir los?«, wollte er wissen. Die Stimme zitterte fast überhaupt nicht.
    »Du hast das Bewusstsein verloren.«
    »Warum?« Ängstlich huschte sein Blick über die Blutspritzer am Fußboden und auf meiner Kleidung. Immerhin war es mir gelungen, nicht auch noch Jegor zu beschmieren.
    »Das ist

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