100 - Leichengeflüster
wurde flacher.
Zehn Meilen
vor Tiverton bog Brian Shanon links ab. Auf schlechter Wegstrecke ging es noch
einige Meilen weiter.
Dann konnte
Nancy in der Dunkelheit die Umrisse von Häusern und eine Mauer sehen, die einen
Friedhof umgab. Das Haupttor stand weit offen. Der Weg führt genau darauf zu.
Brian Shanon
fuhr in den Friedhof ...
●
Die roten
Lichter entschwanden aus ihrem Blickfeld.
Die junge
Engländerin fuhr nicht durch das Tor. Sie schaltete die Scheinwerfer aus und
rollte rechts auf einen Weg, der um die Friedhofsmauer führte. Dann lief sie
zum Tor zurück.
Sie sah noch,
wie die roten Rücklichter vor dem alten Fachwerkhaus zwischen den Bäumen
erloschen.
Dort wohnte
der Totengräber und Friedhofsverwalter. War Brian sein Sohn?
In die Stille
mischte sich das Zuschlagen der Tür.
Nancy Tyler
sah, wie Brian um den Morris lief und sich einem Schuppen näherte. Die hölzerne
Tür bewegte sich quietschend in verrosteten Scharnieren.
Brian Shanon
holte etwas aus der Dunkelheit und lief dann zwischen Buchsbäumen und
hochwachsenden Tuja durch die Grabreihen.
Heimlich und
noch neugieriger geworden folgte ihm die junge Beobachterin.
Er hielt eine
dunkle Flasche in der Hand und näherte sich damit einem Grab, das zwischen
aufragenden Grabreihen lag. Sie waren zum Teil mit Engelsstatuen verziert.
Ein Grab war
mit einer großen, grauweißen Platte abgedeckt. Tief eingekerbt waren die
Buchstaben, die den Namen des Verblichenen ergaben.
»Ted Bowen«
stand darauf.
Nancy Tyler
verbarg sich hinter einem Grabstein und wollte nicht glauben, was sie sah.
Auf der
Grabplatte mit dem Namen »Ted Bowen« standen drei graue Zinn-Kelche, und
zwischen ihnen lag ein angeschnittener Laib Brot. Im fahlen Licht der Sterne
und des Mondes erkannte man, daß das Brot alt und verschimmelt war.
Wortlos
entkorkte Brian Shanon die Flasche und verspritzte einige Tropfen der darin
enthaltenen Flüssigkeit über die Abdeckplatte.
Die
Flüssigkeit war rot wie Blut, aber instinktiv weigerte Nancy Tyler sich
innerlich zu glauben, daß es welches sein könnte. Vielleicht war es eine
besondere Art von Rotwein.
Was war los
mit Brian Shanon? Welche seltsamen Spiele trieb er hier nachts auf einem
stillen Friedhof? Kam er wegen dieses Rituals jeden Freitag hierher?
Brian stellte
die Flasche auf das obere Ende der Grabplatte und zog sich dann in die
Dunkelheit zwischen die anderen Grabsteine und Büsche zurück.
Auch Nancy
Tyler wollte sich lösen von ihrem Beobachtungsplatz, um den jungen Mann nicht
aus den Augen zu verlieren.
Aber das, was
geschah, bannte sie.
Die
Engländerin stand da wie gelähmt.
In den
Gräbern in unmittelbarer Umgebung der letzten Ruhestätte dieses »Ted Bowen«
rumorte es. Kratzen und Schaben waren zu hören, und die flachen Erdhügel vor
den Steinen und Kreuzen gerieten in Bewegung. Die Erde wurde machtvoll von
unten zur Seite gedrückt - dann klaffte der Boden weit auseinander, wie durch Zauberei
stieg ein offener Sarg aus der Tiefe und tanzte auf der sich bewegenden Erde
wie ein Boot auf den Wellen.
Mit dem Sarg
kam die Leiche ...
Eine hagere
Gestalt in dünnem Leinenhemd richtete sich auf. Die dunklen Augen lagen tief in
den Höhlen. Die Haare waren zerzaust, die Haut ausgedörrt und wächsern.
Mit
roboterhafter Bewegung stieg die Leiche aus dem Sarg. Auf dürren Beinen, um die
das weiße Totenhemd schlotterte, wankte sie zur Grabplatte von Ted Bowen.
Alles in
Nancy Tyler sträubte sich. Sie konnte nicht fassen, was sie sah und erlebte.
Ein zweites
und drittes Grab vor und neben der Abdeckplatte öffneten sich auf geisterhafte
Weise.
Ein toter
Mann und eine tote Frau - fahl, bleich und mager - entstiegen den Särgen.
Nancy Stockte
der Atem, ihr Herz setzte zwei Schläge lang aus.
Sie wollte
davonlaufen und sich losreißen von diesem schrecklichen Anblick. Aber die
Angst, aufmerksam zu machen und sich zu verraten, war größer.
Nancy Tyler
hielt zitternd die Stellung und wagte nicht, sich zu rühren. Sie starrte auf
die drei Leichen, die sich um die Abdeckplatte plazierten, und sich dann
langsam niederließen.
Der jünger
aussehende der beiden Männer griff nach der Flasche, die Brian Shanon gebracht
hatte. Daraus füllte er die Zinn-Becher voll.
Die dürren
Finger der drei Toten griffen nach den Gefäßen und führten sie an die schmalen,
vertrockneten Lippen.
In die dürren
Kehlen der Leichen rann die rötliche Flüssigkeit, und leise gurgelnde Geräusche
entstanden.
Obwohl
Weitere Kostenlose Bücher