100 - Leichengeflüster
Stern am Himmel über dieser Grabstätte erscheinen wird. Und nun
beginnt... Du, dessen Name John Mathews lautet, sollst der erste sein, dessen
Geist eintaucht in Zeit und Raum.... Geh und suche ... und berichte mir, was du
siehst, nenne mir die Pesonen und Daten, damit ich nachher, wenn meine Kräfte
erstarkt sind, nichts Falsches berichte.«
John Mathews
war der jüngere der beiden Männer.
Er nickte
abwesend, hatte alles verstanden.
Wie auf ein stilles
Kommando hin faßten sie sich an den Händen.
Die Leichen
hielten die Augen geschlossen, und John Mathews’ welke, schmale Lippen bewegten
sich.
Der Geist des
Toten tauchte ein in die Vergangenheit, und John Mathews berichtete flüsternd
die Ereignisse um....
Alina und Doktor Todd
Der Earl of
Chacking fuhr zusammen. »Kommen Sie schnell, Mylord !« hörte er die wispernde Stimme der Krankenpflegerin.
Die Frau trug
die grauen Haare fest gesteckt unter dem Häubchen. Ihr bleiches Gesicht wirkte
verzerrt. Der Earl war sofort hellwach und richtete sich auf.
»Ist etwas ?«
»Ja. Mit
Alina. Es geht ihr schlechter .«
»Oh, mein
Gott, bitte, laß es nicht wahr sein !«
Der kräftige
Mann warf das Federbett zurück und sprang wie von einer Tarantel gestochen aus
dem Bett. Der Schlafrock lag über der Stuhllehne. Jonathan Earl of Chacking griff nicht danach. In
seinem langen weißen Nachthemd lief er auch noch barfuß nach draußen und
durchquerte die schummrigen Korridore. Der Earl rannte wie von Sinnen davon.
Die Sorge um seine einzige Tochter trieb ihn an.
Ihr Zimmer
lag am anderen Ende des Korridors.
Draußen
stürmte und regnete es. Die Nacht war rabenschwarz, der Wind pfiff um das Haus.
Die Wipfel der alten Eichen und Kastanien wurden durchgeschüttelt.
Eine
unheimliche Nacht.
Den Earl
fröstelte.
Eine Nacht,
wie zum Sterben geschaffen ...
Er erschrak
bei diesem Gedanken.
Alina durfte
nicht sterben!
Sie war die
einzige, die ihm noch geblieben war.
Vor zehn
Jahren schon starb seine über alles geliebte Frau. Bei
der Geburt ihres zweiten Kindes, das diese Nacht ebenfalls nicht überlebte.
Alina, die
älteste Tochter und jetzt siebenundzwanzig Jahre, sollte das Castle und die
Ländereien übernehmen. Für die schwierige Arbeit wäre dem Lord ein Sohn lieber
gewesen. Aber dieser war mit der Mutter in jener Nacht gestorben.
Jonathan Earl
of Chacking liebte seine Tochter über alles.
Seit einiger
Zeit kränkelte sie. Viele Spezialisten aus dem ganzen Land waren in den
vergangenen Monaten zu Gast im Castle gewesen und hatten gute Ratschläge
erteilt. Der Rat eines Arztes aus dem Ausland, Alina an die See zu schicken und
aus dieser düsteren, beklemmenden Landschaft wegzubringen, hatte den bisher
größten Erfolg gebracht.
Nach vier
Wochen Aufenthalt an der See wirkte die junge Frau frisch und erholt, ihr
Lebenswille kehrte wieder zurück, und sie war voll neuer Pläne.
Alle im
Schloß waren glücklich über die Rückkehr der künftigen Herrin of Chacking
Castle.
Sie reiste
durch die Dörfer, sprach mit den Bauern und Arbeitern und gewann überall, wo
sie auftauchte, Sympathien.
Alina war
behebt. Sie hatte ein gewinnendes Wesen, war fröhlich und ausgeglichen, und
jedermann in den Dörfern mochte sie.
Dann kam der
Zeitpunkt, da Alina ihre Besuche wieder einschränken mußte. Sie fühlte sich
wieder schwach, verlor die Freude am Leben und mußte sich öfter hinlegen, um
ihre Kräfte zu schonen.
Daran, daß
sich ihr Zustand jedoch so drastisch ändern sollte, dachte niemand.
Ständig hielt
sich eine Krankenschwester in ihrer Nähe auf, um sie zu versorgen, um ihr
behilflich zu sein.
Jonathan Earl
of Chacking lief durch die weit offene Tür ins Zimmer.
Dort stand
ein großes Himmelbett, dessen Seiten mit duftig zarten Vorhängen versehen
waren.
Ein Vorhang
war zur Seite gezogen und gab den Blick auf die im Bett liegende junge Frau
preis.
»Alina! Meine
Tochter...« Der Earl of Chacking hatte Tränen in den Augen, als er sich über
die Schweratmende beugte.
Alinas Mund
war halb geöffnet. Kalter Schweiß perlte auf ihrer Stirn und lief wie Tränen
über die Wangen. Die Kranke röchelte und hatte die Hände nach oben gestreckt.
Alinas Augen
glänzten fiebrig.
»Vater«, kam
es wie ein Hauch über die totenbleichen Lippen. »Hilf... mir...«
»Einen Arzt!
So holt doch endlich einen Arzt !« rief der Earl
verzweifelt.
Hilflos sah
er sich um. Die Krankenschwester, die außer Atem in das Zimmer lief, machte auf
dem Absatz kehrt, um
Weitere Kostenlose Bücher