100 Prozent Anders
noch zu jung. Einen dreizehnjährigen Sänger konnte man damals nicht erfolgreich vermarkten. Da laufen die Uhren heute ganz anders, je jünger, desto besser. Doch ich gab nicht auf und konzentrierte mich weiterhin auf mein Hauptziel, meine Musik. Im Deutschunterricht wurden wir einmal von unserem Lehrer gefragt, was wir später beruflich machen wollten. Voller Überzeugung erklärte ich ihm, dass ich Sänger werden würde. Ein Klassenkamerad, den ich ohnehin nicht besonders gut leiden konnte, kam nach der Stunde zu mir und meinte: „Du redest so einen Müll, und bist so was von bescheuert! Sänger ist doch kein Beruf, den man einfach so wählen kann. Dafür muss man richtig gut sein.“
Ich ließ den Idioten einfach stehen, was wusste der schon. Ein paar Wochen später hörte mich derselbe Junge bei einer Chorveranstaltung in der Schule. Ich hatte einen Solopart, der beim Publikum großartig ankam. Als die Vorstellung vorbei war, kam der Junge zu mir und entschuldigte sich bei mir, weil er mich ausgelacht hatte, und meinte: „Aus dir wird tausendprozentig mal ein richtiger Star.“
Damals machte mich die Musik des amerikanischen Sängers Barry Manilow tierisch an. 1974 landete er mit „Mandy“ einen Welthit. So etwas hatte ich vorher noch nicht gehört. Anfang der Siebzigerjahre spielte man in Deutschland „Schöne Maid“ von Tony Marshall und „Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben“ von Jürgen Marcus. Plötzlich schwappten diese leicht angejazzten Akkorde aus Amerika zu uns herüber. Auch die Karriere von ABBA begann damals. Aber der Sound von Manilow war etwas ganz Besonderes für mich. Für mein musikbegeistertes deutsches Ohr verkörperten seine Songs eine unglaubliche Internationalität, obwohl er in seiner Heimat eher als Schnulzenheini galt. Auch der Hit „Chirpy Chirpy Cheep Cheep“ von Middle of the Road gefiel mir. Diese Sounds läuteten langsam, aber sicher die Disko-Ära in Deutschland ein, und auch ich sang nicht mehr Heintje oder Mary Roos nach, sondern die englischen Songs.
***
Durch meine vielen gut bezahlten Auftritte im Tanzpalast hatte ich schon als Schüler immer genügend Geld in der Tasche. Es kam immer wieder vor, wenn mal die letzte Stunde des Unterrichts ausfiel, dass ich nicht auf den Bus wartete, sondern mir ein Taxi bestellte, das mich die zwei Kilometer nach Hause brachte. Das kostete damals vier Mark. Um zehn nach zwölf stand ich bei meiner Mutter vor der Haustür. Sie bekam regelmäßig einen halben Herzinfarkt und schimpfte: „Bernd, das geht nicht. Du bist ein Kind. Kinder fahren nicht mit dem Taxi von der Schule nach Hause, sondern nehmen den Bus.“ Ich: „Aber Mama! Der Bus fährt erst in einer Stunde.“ – „Dann musst du die Stunde eben warten, so wie das alle Kinder tun.“ – „Dazu habe ich keine Lust.“ Das Argument, wer meine Taxifahrten bezahlen solle, zog bei mir nicht. Ich verdiente ja schließlich längst mit meiner Musik eigenes Geld. Also fuhr ich weiterhin Taxi.
Ich liebte auch Lakritze. Ganz besonders Veilchenpastillen, die ja nun wirklich nicht jedermanns Geschmack sind. Ich ging in Münstermaifeld in einen kleinen Supermarkt und fragte also nach meinen Veilchenpastillen. Die Verkäuferin, die mich kannte, erklärte: „Bernd, die führen wir nicht mehr, weil wir zu wenig davon verkaufen. Ich muss immer einen ganzen Karton ordern, das lohnt sich nicht.“ „Aha, wie viele sind denn in so einem Karton“, fragte ich schon mit Hintergedanken. „36“, lautete die Antwort. „Tja, dann bestellen Sie bitte einen Karton für mich.“ Ich weiß nicht, was die Verkäuferin von mir dachte, aber zwei Tage später hatte ich meine 36 Beutel Veilchenpastillen.
Nach meiner Grundschulzeit wechselte ich in Münstermaifeld auf das Kurfürstliche Balduin-Gymnasium.
Schule war für mich ein notwendiges Übel. Ein Schicksal, dem ich nicht entkommen konnte. Hätte es irgendeine Chance gegeben, diese Lebensphase zu überspringen, ich hätte sie sofort genutzt. Dementsprechend war ich nur ein mittelmäßiger Schüler. Es gab Fächer, die ich liebte, wie Deutsch, Geschichte, Erdkunde. Aber Mathe und Physik oder Chemie waren der Albtraum. Ich war viel mehr auf meinen Lifestyle bedacht. Gepflegtes Aussehen, schicke Kleidung und stilvolles Benehmen waren mir schon als Kind unheimlich wichtig. Das ist damals nicht anders als heute gewesen. Auch meine Abneigung gegen öffentliche Verkehrsmittel war bereits als Schüler voll ausgeprägt. Ich brauche Abstand zu
Weitere Kostenlose Bücher