100 Tage Sex
die Decke zum Kinn zu ziehen und »Gute Nacht« zu flüstern. Zwei Schwangerschaften und die anschließenden
Säuglingsphasen lieferten uns einen akzeptablen Vorwand für immer längere Sexpausen. Auf hundert Tage Abstinenz haben wir es zwar nie gebracht, aber in der sexuellen Dürrephase im letzten Schwangerschaftsdrittel und in den ersten Lebensmonaten der Babys vergingen vielleicht sechs Wochen zwischen zwei Liebesakten. Jetzt, drei Jahre nach der Geburt unserer zweiten Tochter, schliefen wir vielleicht einmal die Woche miteinander, wenn’s hochkam.
Unsere Beziehung litt nicht darunter. Wir stritten uns selten und mochten die gleichen Dinge: kochen, wandern, spielen. Wir konnten stundenlang miteinander reden, ohne uns zu langweilen. Unsere Kinder, unsere Augensterne, schweißten uns zusammen. Aber ich kann nicht leugnen, dass sich im Haus von Doug und Annie hier und da ein Riss durch die Wand zog, und an einigen Stellen bröckelte der Putz. Ein Immobilienmakler würde das als »normale Abnutzung« abtun (oder die Stellen mit ein bisschen Farbe überpinseln). Sex war zu einer Routineangelegenheit geworden, war nicht mehr freies Spiel, sondern Wiederholung von Wohlbekanntem. Die sexuelle Leidenschaft, die uns am Anfang unserer Beziehung so elektrisierte, war geschwunden. Es tobten keine Stürme der Lust mehr, es herrschte aber auch keine absolute Windstille, sondern eher eine sanfte, warme Brise, die Zufriedenheit und Harmonie symbolisierte. Grundsätzlich ist gegen Harmonie und Zufriedenheit nicht das Geringste einzuwenden, andererseits haben auch Knistern, Leidenschaft und wilder Sex ganz erheblich etwas für sich.
Geld, beziehungsweise Geldmangel, hatte zu Spannungen zwischen uns geführt, insbesondere, nachdem Annie
drei Monate vor Jonis Geburt ihre Berufstätigkeit aufgegeben hatte. Nach Annies Ausscheiden aus dem Job waren wir fünfmal umgezogen, Annie hatte zwei Töchter zur Welt gebracht. Mein bescheidenes Gehalt reichte gerade so für das Nötigste; wenn die Rechnungen bezahlt, die wachsende Familie ernährt und ein wenig Geld für den Kauf eines Hauses zurückgelegt waren, blieb für Annehmlichkeiten wie Restaurantbesuche oder Reisen praktisch nichts mehr übrig. Daran entzündeten sich einige der schärfsten Auseinandersetzungen zwischen Annie und mir.
Auch unser letzter Umzug, von Baltimore nach Denver, hatte zu Missstimmungen beigetragen. Ich stehe meiner engeren Verwandtschaft sehr nahe, die großteils im Südosten von Pennsylvania lebt. Als wir in Baltimore wohnten, verbrachten wir regelmäßig viel Zeit mit meinen Eltern und meinem Bruder, mit Schwägerin, Neffen, Cousins, Onkeln und Tanten. Annie und ich waren so oft umgezogen, dass ich glaubte, auch ein weiteres Mal würde mir nichts ausmachen, aber da täuschte ich mich. In Denver litt ich unter Heimweh, außerdem fühlte ich mich schuldig, weil ich Joni und Ginger aus der Großfamilie gerissen hatte: Nur weil ich diesen Job angenommen hatte, mussten meine Kinder und meine Eltern leiden. Der Umzug entwurzelte auch Annie, riss sie aus ihrem Netz von Freunden und nahm uns unser hübsches Haus in Baltimore, das wir für ein Butterbrot gekauft hatten. Allerdings brachte der Umzug Annie in den Westen zurück, den sie so liebte. Kaum waren wir in Denver, der »Mile High City« angekommen, nahm sie ihren ersten Job seit sieben Jahren an und war überglücklich. Während ich ständig davon träumte, wieder in den Osten zurückzuziehen, kam das für
Annie gar nicht infrage. Das verursachte einen weiteren Riss im Fundament unserer Beziehung.
Außerdem hatten die vergangenen sieben Jahre eine totale Veränderung unserer Rollen gebracht: Früher waren wir ein unbekümmertes berufstätiges Paar gewesen, jetzt waren wir Eltern. Unser gemeinsames Leben drehte sich in allererster Linie um die Kinder. Daran gab es auch gar nichts auszusetzen - nur fiel uns diese Umstellung manchmal recht schwer. Die Dinge hatten sich verändert, nicht immer zum Besseren. Beide hätten wir uns gelegentlich mehr Anerkennung und Aufmerksamkeit vom anderen gewünscht.
Kurz: Die Bausubstanz bei Doug und Annie war solide, doch das Haus brauchte ein bisschen Modernisierung, ein wenig Renovierung, und, wie ein Makler es vielleicht ausdrücken würde, etwas mehr »Pep«.
»Ich glaube, damit kämpfen viele Leute«, sagte Annie. Sie hatte ihr Buch beiseitegelegt und strickte jetzt an einer violetten Mütze mit grüner Bommel, die wie eine Aubergine aussehen sollte. »Ein echtes
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