1.000 Euro für jeden
Anliegens – wenn es jemals eines war –, das Prinzip des
Wohlfahrtsstaats von der Klasse auf das Geschlecht auszudehnen, beschreibt etwa
der konservative Historiker Paul Nolte in »Sozialstaat, Gesundheit und
Gerechtigkeit: Plädoyer für eine neue Sozialpolitik in veränderter Welt«.
Ralf
Dahrendorf, der nicht nur das Grundeinkommen als zeitgemäßes Mittel einer
sozialen Gesellschaft begriff, sondern auch früh das Tabu brach und schon 1982
von dem unumkehrbaren Prozess der Massenarbeitslosigkeit sprach, lieferte einen
einleuchtenden Grund für die Widerstände der Politik, diese Tatsache offen
anzusprechen: »Es liegt vor allem daran, dass Arbeit zumindest auch ein
Herrschaftsinstrument ist. Wenn sie ausgeht, verlieren die Herren der
Arbeitsgesellschaft das Fundament ihrer Macht.« Wer einstellen und entlassen
kann, übt Macht über das Leben anderer aus. Politik, die vorgibt, diese
Prozesse mit Gesetzen und Reformen zu regeln, hat noch größere Macht. Wenn
Politik zugibt, dass sie keine Arbeit schaffen kann, ist sie nutzlos.
Diese
Analyse wirft die Frage auf: An welchem Geländer entlang kann das Leben der
Menschen geordnet werden, wenn die Strukturierung und Disziplinierung durch die
Organisation der Arbeit entfällt? Und wie bestimmt sich eigentlich die soziale
Identität von Menschen, wenn sie sich nicht mehr durch ihre bezahlte Arbeit
definieren können? Der Kultursoziologe Wolfgang Engler fragt in seinem Buch
»Bürger ohne Arbeit«: Was tun, wenn »das Cogito der Lohnarbeitsgesellschaft:
Ich werde bezahlt, also bin ich«, das unser Zusammenleben mindestens seit dem
letzten Jahrhundert geprägt hat, keine reale Grundlage mehr hat, weil es nicht
genug bezahlte Arbeit gibt?
Dasselbe
gilt für die Veränderung unserer Lebenswelten: Die traditionell wichtigste
Keimzelle unserer Gesellschaft, die Familie, hat nicht mehr den Stellenwert wie
früher. Wir leben in einer Single-Gesellschaft mit wechselnden
Lebensabschnittsgefährten, führen offene Beziehungen, bilden soziale Netzwerke
jenseits von Familien- und Vereins- oder nationaler Zugehörigkeit. Wer glaubt,
das Grundeinkommen zerstöre diese Traditionen, verwechselt Ursache mit Wirkung.
In
jedem Fall erfordert die kulturelle Revolution, die ein Grundeinkommen bedeuten
würde, keine Barrikaden und kein umstürzlerisches Blutvergießen. Sie findet zunächst
vor allem im Kopf statt, indem wir tradierte Begriffe und Normen hinterfragen,
weil wir mit dem Denken von gestern die Probleme von morgen nicht lösen können.
Die Realität ist schon viel weiter als unser Bewusstsein, vor allem viel weiter
als die Politik und ihre Rezepturen. Dieses Buch soll Ihnen deshalb Anregungen
geben, die Welt so zu sehen, wie sie eigentlich schon längst ist. Sie werden
sehen: Nichts liegt so nahe wie das bedingungslose Grundeinkommen.
Denjenigen,
die gegen Ende dieses Buches immer noch die drängende Frage haben »Gut, hört
sich alles verlockend an, aber wie soll das finanziert werden?«, stellen wir im
Schlusskapitel ein mögliches Finanzierungsmodell vor, die Konsumsteuer, für die
Götz Werner steht. Adrienne Goehler will sich auf diese Art der Finanzierung
nicht festlegen. Sie glaubt, dass diese Frage zuerst durch ein
transdisziplinäres Forschungsvorhaben bearbeitet werden muss, aus dem sich erst
konkrete Umsetzungsschritte ergeben können.
Finanzminister
Wolfgang Schäuble, bisher nicht als Befürworter eines bedingungslosen
Grundeinkommens aufgefallen, hat die Finanzierbarkeit von »Tausend Euro für
jeden«, vermutlich gänzlich unbeabsichtigt, in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau im Februar 2010 erklärt. Dort
ließ er wissen, dass der deutsche Staat schon jetzt pro Jahr eine Billion Euro
für Sozialleistungen ausgibt – wir zitieren: »12500 Euro pro Kopf«. Das
Geld ist also da. Und sogar ein wenig mehr, als wir mit »Tausend Euro für
jeden« in diesem Buch vorschlagen, die summieren sich ja bloß auf 12000 Euro
pro Kopf und Jahr!
Davor
ist aber die erste und zentrale Frage, die wir beantworten müssen, ob wir in
einer Gesellschaft leben wollen, die ein Grundeinkommen zahlt. Wenn wir es
wollen, werden wir nach und nach auch herausfinden, wie viel wir auf welche Art
und Weise an wen bezahlen – und damit auch, auf welche Weise wir das
Grundeinkommen finanzieren. Denn: Wer will, findet Wege; wer nicht will, findet
Gründe.
3. Kapitel:
Wie ein Lotto-Gewinn für alle
Was würden Sie tun?
»Was würden
Sie tun, wenn Sie jeden Monat
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