1.000 Euro für jeden
Ihr
Gefühl, dass es nicht zum Besten mit der Schule steht, hatte endlich einen
öffentlichen Ausdruck gefunden. Dabei ist Pisa im Grunde nur der Name für etwas
Tieferliegendes. Die Studie markiert Bruchstellen zwischen einer
Industriegesellschaft und dem, wofür wir nur so unzureichende Namen wie
Wissens- oder Ideengesellschaft haben. Doch wie hat die Kultusministerkonferenz
darauf reagiert – jene Versammlung in der die Bildungs- und Kultusminister
aller Bundesländer zusammenkommen? Sie versuchte, der OECD-Schelte mit dem
Rezept »Mehr vom Gleichen – das aber schneller!« zu begegnen. Mehr
Deutsch, Mathematik und Lesen. In der Folge wurde lediglich der Leistungsdruck
erhöht, aber keineswegs die Struktur verändert. Die beiden fatalsten Beispiele
sind die Verordnung des Zentralabiturs und des Turboabiturs – die
Reduzierung auf 12 Schuljahre, bei gleichbleibender Menge des
Unterrichtsstoffs. Der Erziehungswissenschaftler Dieter Lenzen etwa schloss aus
dem erschreckenden Pisa-Ergebnis für Deutschland, das Bildungssystem müsse
effizienter werden: »Künftig werden Kinder früher zur Schule gehen, mit
spätestens 17 ihr Abitur machen und mit 21 ihr Studium abschließen.« Und,
möchte man sarkastisch anfügen, mit 22 arbeitslos sein.
Seit
einiger Zeit kursiert ein treffender Ausdruck, der unser Bildungssystem mit dem
Krankheitsbild der Bulimie vergleicht: Wissen reinstopfen und in
Klassenarbeiten ausspucken. Bekanntlich bleibt dabei für Leib und Seele nichts
zurück.
Kinder
und Jugendliche werden sich in ihrem Leben ständig neu erfinden müssen. Die
Arbeitswelt verändert sich so rasant, dass es die Arbeitsplätze, für die sie
heute ausgebildet werden, morgen schon nicht mehr geben wird. Auf diese
unsichereren Zeiten müssen Jugendliche vorbereitet werden. Im Rahmen einer
Bildung, die ihre ästhetische Dimension nicht vergisst – und der
Wahrnehmung und Gestaltung von Welt Raum gibt. Dennoch schreitet die Politik
unbeirrt auf den Pfaden der veralteten Bildung voran, bei sinkenden
Investitionen; bei den Bildungsausgaben liegt Deutschland unter dem
OECD-Durchschnitt (laut OECD Studie September 2009) und, gemessen am
Bruttoinlandsprodukt, sogar noch unter den Ausgaben von 1995. Das schlechte
Abschneiden im OECD-Vergleich hat hierzulande nicht nur Erschütterung
ausgelöst, sondern auch zu aktivem Handeln geführt. Zwar nicht bei der Politik,
aber beim Volk: Wer es sich irgendwie leisten kann, entzieht sein Kind den
staatlichen Schulen. Zwischen 1995 und 2006 hat die Zahl der Kinder in freien
Schulen um ein Viertel zugenommen, und die Entwicklung schreitet voran. Bei
Grundschulen beträgt die Steigerung sogar sechzig Prozent. Achtzig (!) Prozent
aller Eltern, und zwar quer durch alle Bildungsstände und Einkommensgruppen,
würden ihre Kinder in eine Privat- oder freie Schule geben und der staatlichen
Regelschule entziehen, wenn sie denn könnten. Das ist sozusagen eine Abstimmung
mit den Füßen – für mehr Aufmerksamkeit und mehr individuelles Eingehen
auf die Fähigkeiten ihrer Kinder. Eltern wollen sich einmischen, Schule und
Kindergärten mitgestalten, aber auch von den Schülern und Schülerinnen selbst
gehen unzählige Impulse aus, Schule zu einem Ort kreativen Lernens zu
machen – wovon etwa die Filme »Treibhäuser der Zukunft« eindrucksvoll
zeugen. Sie handeln von Schulen, die an den Koordinaten von Raum und Zeit
arbeiten, die dem Ort große Bedeutung geben, ihn aufladen: »Es sind Schulen,
die die Zeit rhythmisieren und diesen industriellen 45-Minuten-Takt verlassen.
Es sind Schulen, die auch aus den Kleinkriegen gegenseitiger Beschämung
aussteigen und die die Feindschaft zwischen Schülern und Lehrern aufgekündigt
haben«, so der Regisseur der »Treibhäuser« Reinhard Kahl. Seit einigen Jahren zeichnet
zudem die Robert-Bosch-Stiftung Schulen aus, die sich selbst neu erfinden. Das
Spektrum der freien Schulen, die häufig Ganztagsschulen sind, umfasst nicht nur
Gymnasien, sondern zunehmend auch Kindergärten, Haupt- und Grundschulen und
geht von konfessionellen Schulen über zweisprachige, antiautoritäre zu
privaten, elitären Einrichtungen. Dabei räumt die Bildungsökonomin Katharina
Spieß vom Deutschen Institut für Wirtschafsforschung (DIW) mit dem Klischee
auf, es handle sich bei denjenigen, die dem staatlichen Bildungsauftrag
misstrauen, vor allem um Besserverdienende und ehrgeizige Akademikereltern. Sie
kommt nach einer Befragung von 12000 Haushalten zu dem Schluss, dass
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