Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1001 Nachtschichten

1001 Nachtschichten

Titel: 1001 Nachtschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Osman Engin
Vom Netzwerk:
uns sah. Wahrscheinlich lag es daran, dass er nicht der nette Mann war, der uns einen Tag zuvor besucht hatte. Offenbar hatte der Nachbar seinen Bruder oder den Schwager zu uns zur Begrüßung geschickt, dachten wir uns.
    Mann und Frau wirkten etwas verwirrt. Ich hatte fast das Gefühl, dass sie auf unseren Besuch nicht eingestellt waren – froh darüber waren sie schon gar nicht! Gleich am nächsten Tag hatten sie uns anscheinend nicht erwartet.
    ›Was wollt ihr denn alle hier? Wer seid ihr überhaupt?‹, klang nämlich nicht ausgesprochen höflich.
    Ihre trübe Stimmung erhellte sich nicht mal, als ich den wunderschönen Samowar und den teuren Teppich auspackte und auf dem Fußboden ausbreitete – im Gegenteil!
    ›Danke, ihr könnt alles wieder einpacken, wir kaufen nichts‹, sagte der Mann schroff.
    ›Nix kaufen, ich schenken mein Nachbar‹, antwortete ich fröhlich und zeigte alle meine Zähne – damals hatte ich noch welche.
    Auf einmal war das ganze Eis geschmolzen.
    Sie machten große Augen und brachten uns Cola und Salzstangen und schauten dann weiter fern. Diese Leute waren längst nicht so gesprächig wie ihr Bruder oder Schwager, der uns am Tag zuvor besucht und so tolle Geschenke gemacht hatte.
    Eine Zeit lang haben wir uns gegenseitig, danach den Fernseher und zum Schluss die Bilder an der Wand angeschaut. Als nichts mehr zum Angucken da war, sind wir nach Hause gegangen.
    An dem Tag war ich überglücklich! Endlich waren wir in unserer neuen Nachbarschaft aufgenommen worden. Und was für eine wundervolle Aufnahme das war!
    Am nächsten Morgen lag in unserem Briefkasten ein Schreiben von dem netten Nachbarn, der uns all die schönen Sachen geschenkt hatte.
    Ich war sehr erstaunt! Denn unser Nachbar hatte uns – besser gesagt, meiner Frau – geschrieben:
    ›Sehr geehrte Frau Engin, wir haben uns über Ihr Interesse an unserem Warensortiment sehr gefreut. Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Gebrauch der Haushaltswaren.
    Anbei eine Aufstellung der angelieferten Waren, mit der Bitte um unverzügliche Regulierung Ihrer Verbindlichkeiten auf einem der unten ausgewiesenen Bankkonten.
    Gesamtwert: 1750,80 DM inkl. Mehrwertsteuer …‹
    Oh, Chef, ich muss jetzt aber schleunigst nach Hause, sonst verpasse ich meinen Bus!«
    Mein Meister versucht ganz schön aufgeregt irgendwas zu artikulieren, aber bei dem vollen Mund rutscht er in seine Muttersprache ab und gibt nur einige Orang-Utan-Laute von sich:
    »Pööözz … ktüüüt … tschchs … häussss …«
    »Okäy, mein lieber Meister, tschüsssss!«

    Toll! Diese grauenhafte Woche ist auch endlich um! Noch zwölf Tage!
    Alle anderen Kollegen machen nach der Arbeit einen Abstecher in die Kneipe, ins Spielcasino, zur Geliebten oder ins Bordell, bevor sie zu Hause ihre Ehefrauen in dieArme schließen, aber ich muss nach der Schicht jeden Tag ins Jobcenter und mich irgendeiner Schlange anschließen. Mann, wie das nervt!
    Wenn ich heute wider Erwarten doch noch irgendeine Arbeit bekommen sollte, dann kann der Viehtreiber auf die Pointe der Willkommensstory und auf noch mehr Essen so lange warten, bis er schwarz wird.
    Aber davor warte ich wieder stundenlang vor Zimmer 143, bis ich schwarz werde – und komme nicht mal dran!

    Zu meiner großen Überraschung kennt meine Frau Eminanim sogar den Grund, weshalb ich heute meinen Sachbearbeiter im Arbeitsamt nicht zu Gesicht bekam, obwohl sie den ganzen Tag nur zu Hause rumsitzt.
    Sie starrt auf ihren kleinen Kompjuter auf dem Küchentisch und verkündet:
    »Heute konnte niemand zur Herrn Meisegeier! Der Mann war doch heute den ganzen Tag in der Frauenklinik!«
    »Wirklich? Was macht denn ein Mann in der Frauenklinik? Hat er sich etwa umoperieren lassen?«, frage ich etwas erstaunt.
    »Er hat ein Kind bekommen!«
    »Waauu, das hat man ihm gar nicht angesehen! Können die Umoperierten jetzt sogar Kinder bekommen – und das so schnell?«, frage ich diesmal richtig verdattert.
    »Er doch nicht, du Blödian – seine Frau!«
    »Seine Frau hat sich umoperieren lassen?«
    »Mein Gott, gleich operiere ich dich um – und zwar ohne Betäubung! Hör endlich auf mit dem Schwachsinn!Er hat heute die Arbeit geschwänzt, weil seine Frau ein Kind bekommen hat!«
    »Woher willst du das denn wissen? Arbeitest du in deiner Freizeit als 1-Euro -Detektiv?«
    »Wozu gibt’s denn das Internet? Ich weiß alles über deinen neuen Sachbearbeiter Meisegeier. Per Eifon hat er seine Fäysbuk-Kumpels ständig über den Fortgang der

Weitere Kostenlose Bücher