1004 - Das Phantom in der Fremde
erwiderte Suko. Dabei konnte er sich ein Lachen nicht verkneifen. »Das verlangt auch keiner von Ihnen.«
»Dann sagen Sie mir endlich, was Sie mit diesem schwebenden Gesicht machen wollen.«
Auf diese Frage hatte Suko gewartet. Nur war er nicht in der Lage, eine konkrete Antwort zu geben. Einige Möglichkeiten waren ihm schon durch den Kopf geschossen.
Zum Beispiel hätte er es mit seiner Dämonenpeitsche versuchen können. Ein Schlag in den zitternden Umriß hinein, und auch in die Masse hätte möglicherweise etwas zerstören können.
Aber nur hätte.
Sicher war er sich nicht.
»Nun?«
»Ich kenne die Hintergründe nicht. Ich kann mir vorstellen, daß der König in seinem Leben mit starken magischen Kräften in Kontakt gekommen ist. Stellt sich nur die Frage, mit welchen Kräften genau.«
»Ach. Gibt es da Unterschiede?«
»Und ob. Sie müssen die andere Welt mit der unsrigen vergleichen. Auch sie basiert auf einem Dualsystem. Da gibt es zum einen die gute und zum anderen die schlechte Seite. Eine positive und eine negative Magie. Das ist zwar etwas platt ausgedrückt, aber im Prinzip kommt es schon hin.«
»Das akzeptiere ich. Sie sind der Fachmann. Aber Sie sind sich auch nicht sicher, was diesen Lalibela angeht.«
»Richtig.«
»Für mich tendiert er in die negative Richtung.«
»Warum?«
»Er hätte die Frau sonst nicht sterben lassen.«
Nach kurzem überlegen stimmte Suko der Ärztin zu. »Ja, im Prinzip haben Sie recht. Aber die genauen Verhältnisse sind uns leider nicht bekannt. Alischa hat sich selbst als Verräterin bezeichnet. Wahrscheinlich hat sie deshalb ihre Strafe bekommen.«
»Damit haben Sie sich um eine Antwort herumgedrückt.«
Suko lächelte nur. Er trat nun näher an die Tote, und er sah somit den geisterhaften Abdruck aus der Nähe. Bisher hatte er Lalibela Geisterscheinung nur angeschaut. Er hatte sich nicht getraut, sie zu berührten, das wollte er jetzt nachholen, obwohl er sich selbst gegenüber zugab, daß schon ein verdammt ungutes Gefühl in ihm hochkroch.
Es war nicht leicht. Suko ärgerte sich über sich selbst. Die innere Warnung, etwas falsch zu machen, war einfach nicht zu überhören.
Auf der anderen Seite mußte es irgendwo weitergehen. Von allein würde Lalibelas Geist nicht reagieren.
Er war vorsichtig.
Er hielt sogar den Atem an, weil er sich durch nichts stören lassen wollte.
Zwar zeichneten sich die Umrisse wie zitternder Rauch ab, aber im Prinzip blieb es schon ruhig über der Leiche schweben. Es lag flach darauf. Suko sah den Mund, die angedeutete Nase, die Ohren, die Augen. All das wirkte auf ihn wie ein unvollendetes Gemälde. Als hätte der Maler plötzlich keine Lust mehr gehabt, weiterzumalen.
Suko näherte seine Hand von oben. Er hatte sie ausgestreckt. So würde er den Handteller flach auf diesen Gesichtsumriß drapieren können. Er rechnete auch mit einer Reaktion, je mehr er sich dem Gesicht näherte, doch alles blieb so, wie es war.
Suko senkte die Hand noch tiefer. Er konzentrierte sich wie sonst sein Freund John Sinclair, wenn er das Kreuz auf etwas Fremdes legte, um es zu zerstören oder nur, um Kontakt zu bekommen. Suko hatte sich dabei in der Gewalt. Nicht das geringste Zittern wies auf seine innere Spannung hin. Er hielt sogar den Atem an, als er sich innerlich auf die Berührung eingestellt hatte.
Kontrolliert fiel die Hand nach unten.
Der Kontakt war da!
Eis!
Ja, ein leichter Eisschauer rieselte über Sukos Haut. Und für einen Moment hatte er den Eindruck, als würde sie sich lösen und einfach davonfliegen.
Nicht seine Nägel, auch nicht die Haut löste sich von der Hand.
Dafür geschah etwas anderes.
Blitzartig zogen sich die Umrisse des Gesichts zusammen, so daß sie für einen Moment nur so etwas wie ein Knäuel bildeten. Wie nicht ganz aufgerolltes, helles Garn schwebte es über dem Gesicht, blieb aber nicht dort, sondern verschwand.
Es huschte einfach weg.
Suko erschrak, obwohl er keinen Laut gehört hatte. Allerdings schrie die Ärztin hinter ihm auf. Als Suko sich sofort danach umgedreht hatte, bekam er mit, wie Dr. Quinn zu dem Fenster schaute, dessen Scheibe völlig intakt war.
Margret Quinn hob den rechten Arm. Mit dem Zeigefinger deutete sie gegen die Scheibe. »Da, da…« flüsterte sie. »Da ist er entschwunden. Weg, aus dem Raum …«
Suko stellte keine Frage. Er war mit wenigen Schritten am Fenster und zerrte es auf.
Der kühle Wind interessierte ihn nicht, er wollte nur in den Garten schauen und
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