1009 - Kometen-Geister
schlüpfte sie noch in die bequemen Mokassins mit der Noppensohle und spürte zum erstenmal richtigen Hunger.
Auch ein gutes Zeichen, da ihr in den letzten Wochen und Monaten der Appetit oft genug vergangen war.
Carol Simmons war nicht unbedingt eine Frau, die ein opulentes Frühstück liebte, aber nahrhaft und gesund mußte es sein.
Auch an diesem Tag entschied sie sich für ein Müsli, das sie aus Haferflocken, Obst und Milch zusammenstellte und mit etwas Honig verfeinerte.
Sie rührte alles um und ging mit dem Teller auf der Hand durch das Wohnzimmer. Es war zwar rustikal eingerichtet, aber die Möbel wären aus hellem Kiefernholz gebaut und wirkten nicht zu schwer.
Carol öffnete die Tür nach draußen. Essend trat sie ins Freie und gelangte dorthin, was im Prospekt als Terrasse bezeichnet wurde. Es war ein Viereck, auf dem die beiden Stühle und der Tisch standen. Zwei Außenleuchten bildeten die Grenzen zum Rasen hin, dessen grüne Fläche dort aufhörte, wo der Strand begann.
Zu den Nachbarn hin waren die Häuser durch weiß gestrichene Holzwände abgeschirmt, aber nicht alle. Nur die, die ziemlich dicht zusammenstanden und so etwas wie Pulks bildeten. Carols Haus gehörte nicht dazu.
Sie blickte zum See hinüber, während sie aß. Ein wunderbarer Wind strich über das Wasser. Er bewegte die Oberfläche, so daß zahlreiche Wellen entstanden waren. Sie rannen über die Fläche hinweg und sahen aus, als wollten sie sich gegenseitig fangen.
Carol genoß den Wind, der frühlingswarm über ihr Gesicht strich. Hier im Süden der Staaten hatte der Frühling bereits Einzug gehalten. Alles stand in voller Blütenpracht. Der Wind riß viele Obstblüten mit und trieb sie wie Schneeflocken durch die Luft.
Carol Simmons war jetzt wieder mit sich zufrieden. Für ihre fünfunddreißig Jahre sah sie wirklich noch gut aus, auch wenn sie sich selbst über die Sommersprossen ärgerte, die sich bei großer Wärme verstärkt auf ihrem Gesicht zeigten.
Jetzt waren sie nicht mehr als blasse Flecken, und damit konnte sie gut leben.
Sie hatte ein hübsches Gesicht. Eine hohe Stirn, eine gerade Nase und einen schönen Mund. Ihre Augen schimmerten grünlich. Sicherlich ein Erbe ihrer irischen Vorfahren. Zumindest stammte ihr Großvater aus Irland.
Carol freute sich auch darüber, daß zu dieser Zeit noch nicht viel Betrieb herrschte. Nur wenige Bungalows waren belegt, und sie hatte deshalb nur einen direkten Nachbarn, einen Engländer, mit dem sie einige Worte gewechselt hatte. Ein Freund hatte ihm die Blockhütte überlassen, und er wollte auch nicht besonders lange bleiben.
Seinen Namen kannte sie auch. Der Mann hieß John Sinclair. Er war allein gekommen, war auch nicht verheiratet, wie sie wußte, und Carol konnte sich schon vorstellen, den einen oder anderen Abend mit ihm zu verbringen.
An diesem Tag hatte sie ihn noch nicht gesehen, und sie hörte auch nichts von ihm. Er war sicherlich in den Ort gefahren, um Lebensmittel zu kaufen.
Das war hier so üblich, denn die Urlauber gehörten zu den Selbstversorgern.
Brian sah sie nicht.
Zuerst hatte sie darüber nicht nachgedacht. Doch als sie den Teller geleert hatte, wurde sie schon mißtrauisch. Eigentlich hätte sich Brian auf dem See befinden müssen, denn er hatte mit dem Boot hinausfahren wollen.
Sie sah ihn nicht.
Ob er in den Wald gegangen war?
Das konnte sich Carol auch nicht vorstellen, denn der Wald lag einfach zu weit entfernt, und Brian lockte eher das Wasser. Carol hob die Schultern und brachte den Teller wieder zurück in die kleine Küche. Die Unruhe blieb trotzdem bestehen. Sie verstärkte sich sogar so sehr, daß sie auf der Haut ein Kribbeln spürte. Carol ging über die Terrasse und spürte schon bald den weichen Rasen unter ihren Sohlen. Sie lief wie auf einem Teppich, als sie in Richtung Strand ging und dabei den Steg immer im Auge behielt.
Man konnte zwischen Paddel- und Ruderbooten wählen, aber Brian war jemand, der mehr zu Paddelbooten tendierte, und sicherlich hatte er sich eines dieser flachen Dinger geholt.
Auf dem See war er nicht zu sehen.
Carol schüttelte den Kopf. Sie war so weit gegangen, daß sie jetzt die Reihe der Häuser überblicken konnte, wenn sie sich umdrehte. Vielleicht hielt er sich bei einem Nachbarn auf, auch wenn das ziemlich unwahrscheinlich war.
Sie rief den Namen ihres Jungen. Zweimal sehr laut, und das Echo hallte über den See hinweg.
Ein Stück weiter erschienen ein Mann und eine Frau. Beide schon älter.
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