1014 - Der Seelenkompaß
können.
Ich konnte ihm auch keinen Rat geben, denn jedes Wort hätte nichts gebracht. Er mußte selbst mit seiner Lage fertig werden. Vielleicht fand er noch die Kraft, sich daraus zu befreien, aber es war schwer, zu schwer. Vom Hals her zuckte die Haut bis hin zur Brust, dann bewegte er den offenen Mund und röhrte mir mit einer fremd klingenden Stimme einen Namen oder Begriff entgegen.
»Soulman…«
Seelenmann, also.
Er war es, der den Killer angriff und ihm die Seele raubte.
Soulman machte es grausam. Seine Kraft riß den Körper in die Höhe, wuchtete ihn wieder zurück, und Larry Silas schrie nicht einmal, als er auf den Rücken prallte. Er war völlig fertig, apathisch, mehr tot als lebendig.
Ich kämpfte noch immer gegen meine Schwäche, die ich mir kaum erklären konnte. Mir war, als hätte ich einen gewaltigen Stromstoß bekommen, der zu dieser Lähmung geführt hatte. Möglicherweise hätte mich dieser Schlag auch vernichten können. Herzstillstand, völlige Lähmung und so weiter. Ich kam mit dem Gegner nicht zurecht, der bisher nicht einmal zu sehen gewesen war, für mich auch kaum zu spüren, was sich allerdings änderte.
Über der Brust des Killers tanzte plötzlich ein Schatten. Kein finsteres, amorphes Etwas, dafür relativ hell und auseinandergezogen. Aber der Schatten blieb nicht so. Er zog sich zusammen und konzentrierte sich auf eine bestimmte Größe, so daß er Ähnlichkeit mit einem Ballon bekam. Eine Kugel, ein Globus, was auch immer. Er hatte sich auf der Brust festgesetzt, als wäre er dort angeklebt worden. Aber auch dort hielt er sich nicht lange. Das kurze Zucken deutete die Veränderung an.
Auf einmal war er weg!
Ich hatte es trotz der Schnelle mitbekommen, und meine Augen weiteten sich. Ich konnte es nicht fassen, denn er hatte sich tatsächlich in den Körper des Killers hineingedrückt, ohne die Brust aufgerissen zu haben. Auch die Kleidung war nicht zerstört worden, und Silas reagierte ebenfalls nicht.
Er lag auf dem Rücken. Starr wie eine Leiche, so daß ich mich schon fragte, ob er nicht schon gestorben war. Ich verfluchte meine eigene Hilflosigkeit. Nur unter großen Mühen konnte ich mich bewegen, aber die Kraft, auf Silas zuzugehen, fehlte mir einfach.
Noch immer beherrschte Soulman diese Zelle.
Und er kehrte zurück.
Da ich den Killer nicht aus den Augen gelassen hatte, bekam ich alles sehr gut mit. Er drückte sich aus der Brust hervor, und er war jetzt zu einem hellen Fleck geworden. Eine nicht nur nach innen strahlende Kugel, sondern ein Gebilde, das auch an den Umrissen zerfaserte und dabei im Kern heller strahlte.
Soulman hatte zugeschlagen. Ich mußte einfach davon ausgehen, daß er die Seele des Mörders geraubt hatte. Deshalb hatte er sich verdichtet, aus diesem Grunde strahlte er auch heller, und er hatte sein Ziel letztendlich erreicht.
Dieser helle Ball wischte durch den Raum. Er raste auf das vergitterte Fenster zu. Für einen winzigen Augenblick bekamen die Stäbe dort einen hellen Schein, auch die Scheibe flimmerte auf, dann war von diesem Ball nichts mehr zu sehen.
Flucht!
Weg aus den Mauern. Hinein in seine Welt. Zusammen mit der gefangenen Seele.
Ich saugte die Luft ein. Ich lechzte nach Sauerstoff. Ich wollte all das tun, was mir in der letzten Zeit nicht gelungen war. Es klappte. Ich konnte wieder normal atmen, ich bewegte mich wieder wie sonst, als wäre nichts geschehen, und auch das Schwindelgefühl verschwand, als ich aufstand.
Als wäre nichts passiert. Als hätte es diesen unheimlichen Vorgang nicht gegeben. Das war ein Irrtum. Es hatte etwas stattgefunden, das wußte ich genau. Ich brauchte nur einen Blick auf den leblosen Körper des Killers zu werfen und wußte genug.
Silas sah aus wie ein Toter. Er konnte einfach nicht mehr leben. Jemand, dem die Seele geraubt worden war, der durfte nicht mehr weiterexistieren. Das widersprach sämtlichen Gesetzen. Ohne Seele war der Mensch wie ein Auto ohne Motor.
Larry Silas hatte sich nicht mehr bewegt. Er lag auf dem Rücken. In seinem Gesicht malten sich zwei gläserne Augen ab. Pupillen, in denen kein Leben mehr stand. Aus seinem Gesicht war auch noch der Rest an Farbe gewichen, und seine Lippen hoben sich kaum ab.
Er atmete nicht mehr. Ich spürte nicht den leisesten Hauch, als ich mich dicht über seinen Mund beugte. Dieser Mann war vor meinen Augen gestorben. Raffiniert und gleichzeitig auf eine furchtbare Art und Weise umgebracht worden, wobei es mir nicht gelungen war, es zu
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