1014 - Der Seelenkompaß
nicht sagen, da muß ich nur raten.« Ich schaute ihn skeptisch an. »Vor Ihrem eigenen Gewissen? Nein, das glaube ich nicht. Menschen wie Sie besitzen zwar ein Gewissen, aber das ist tief, sehr tief in Ihnen versteckt. Es muß also einen anderen Grund für Ihre schon hündische Angst geben.«
»Hündisch?« Er lachte. Bei großzügiger Auslegung hörte es sich an wie ein Bellen.
»Ich sehe es so.«
»Aber ich nicht. Ich liebe Hunde. Ich liebe besonders Kampfhunde, Sinclair.«
»Das glaube ich Ihnen durchaus. Nur geht es hier nicht um Hunde, sondern um Wesen, die normalerweise nicht existent sind. Die in anderen Sphären leben. Dämonen?«
Silas preßte seinen Rücken gegen die Lehne. »Ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Ich kann mich auch anders ausdrücken. Es gibt verschiedene Arten von Dämonen, und sie haben auch verschiedene Namen. Zum Beispiel nennt man manche von ihnen Seelenräuber.«
Das letzte Wort war wichtig gewesen. Da hatte ich mich nicht geirrt. Denn Larry Silas saß auf seinem Stuhl, als wäre er auf der Stelle schockgefroren worden. Sein Gesicht, sowieso nicht gerade gesund aussehend, verlor noch mehr an Farbe und bekam eine fahle Blässe.
Ich war auf dem richtigen Weg, da brauchte ich ihn nur noch anzuschauen. »Du hast Angst vor dem Seelenräuber, Larry, nicht wahr?« Ich hatte ihm den letzten Satz zugeflüstert und schaute ihn dabei an. »Er lauert auf dich, er kennt dich. Er hat schon Kontakt mit dir aufgenommen. Davon gehe ich mal aus. Jetzt wartet er nur noch auf eine günstige Gelegenheit, um dir die Seele zu rauben.«
Silas verzog das Gesicht. »Hör auf zu labern, verdammt. Ich will davon nichts hören.«
»Hast du so große Angst?«
»Ich will weg!«
»Wohin?«
»Weg von dir!« fuhr er mich an. »Wieder zurück in meine Zelle. Ich habe ein Recht darauf!« Er bewegte wild seinen Kopf und nickte mir mehrmals zu.
Ich blieb gelassen. »Deinen Wunsch kann ich verstehen, wirklich, aber es liegt einzig und allein an mir, wann und ob ich dich überhaupt gehen lasse. Natürlich können wir die Sache ab kürzen. Du brauchst mir nur mehr über den zu erzählen, der dich quält. Dann kannst du sofort wieder zurück in die Zelle gehen. Ansonsten habe ich Zeit, viel Zeit sogar. Ich mache gern Überstunden.«
»Du bist ein Schwein.«
»Hör doch auf mit diesen Beschimpfungen. Sie bringen nichts. Laß uns vernünftig reden.«
Mit den Flächen seiner gefesselten Hände wischte er über sein Gesicht. Der kalte Ausdruck war aus seinen Augen verschwunden. Sie blickten jetzt voller Furcht. Er bewegte auch seine Lippen, zog die Nase hoch, spie aber diesmal nicht zu Boden. Dann bewegte er seinen Kopf und schaute sich um, als wäre außer uns noch eine dritte Person in dieser Zelle.
Ich wollte ihn schon danach fragen, ließ es allerdings bleiben, denn die Haltung des Killers deutete tatsächlich darauf hin, daß er jemand suchte, der für mich nicht zu sehen und auch nicht zu spüren war.
Anders für Larry Silas.
Er blickte in die verschiedenen Richtungen, um herauszufinden, ob sich dort etwas bewegte. Ein Schatten, ein Schemen, wie auch immer. Jedenfalls ein Seelenfänger.
Seine Haltung veränderte sich dabei. Silas zog den Kopf ein, die Schultern hob er dabei an. Wäre es ihm möglich gewesen, so hätte er sicherlich auch mit den Händen die Schultern umklammert, aber darauf mußte er verzichten. Dafür zog er die Beine an. Ich wunderte mich über seine Gelenkigkeit, denn er schaffte es, seine Hacken auf die Stuhlkante zu stellen.
So blieb er hocken.
Ich schaute mir den Killer an. Es war nicht übertrieben, denn wie er da saß, erinnerte er mich tatsächlich an ein kleines Kind, das Angst vor dem Schwarzen Mann hatte.
»He, was ist, Larry?«
Er schüttelte den Kopf. »Warum sagst du es nicht?«
»Nein!«
»Er ist da - nicht? Du spürst ihn. Er hält sich bereits hier in diesem Raum auf. Das ist genau zu spüren, da brauche ich dich nur anzuschauen, Larry.«
»Es ist so kalt.«
Ich lachte leise. »Aber draußen scheint die Sonne. Sogar gegen das Zellenfenster.«
Er blickte nicht einmal hin, sondern schaute sich im Raum um, in dem allerdings nichts zu sehen war.
Ich stand auf und nahm meine Wanderung durch die Zelle auf, verfolgt von den Blicken des dreifachen Killers, dessen Angst nicht abnahm.
Ich ging langsam. Ich passierte das Fenster nicht, sondern blieb vor den Gittern stehen und drehte den Stangen den Rücken zu. Der Mörder schaute mich nicht an. Er starrte ins Leere,
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