1017 - Die Sonne Satans
winzigen Augenblick hatten sich ihre Pupillen verengt, dann war sie wieder ganz die alte und gab sich locker. »Sonne ist gut. Die gibt es hier nicht, sondern draußen…«
Ignatius spürte, daß sie ihn locken wollte, und er stieg auch auf diese Brücke. »Wie ich weiß, hat er nicht die normale Sonne gemeint, sondern eine andere. Eine ganz bestimmte. Ich würde sagen, eine völlig fremde Sonne.«
Luna nickte. »Ich verstehe. Und die wollte er Ihnen zeigen?«
»So ist es.«
»Hier?«
»Das hat er nicht gesagt. Er hat mich nur gebeten, einmal vorbeizuschauen. Das habe ich hiermit getan.«
»Ja, ich weiß. Aber Ben ist nicht da.«
»Wann kommt er denn wieder?«
Die Frau mit dem Kettenkleid hob die Schultern, wobei ihr Outfit leicht verrutschte. »Bei ihm weiß man das nie. Manchmal ist er tagelang unterwegs, und ich weiß wirklich nicht, wann er wieder eintrudelt. Das ist keine Ausrede.«
»Schade«, sagte Ignatius, »denn so lange kann ich leider nicht auf ihn warten.«
»Ist schon klar. Aber er hat mit Ihnen über die Sonne gesprochen?«
»Das sagte ich bereits.«
»Es gibt sie«, flüsterte Luna.
»Hier?«
»Wollen Sie einen Blick darauf werfen? Sie ist wirklich wunderbar, ein Kunstwerk, das ich für ihn geschaffen habe.«
Jetzt brauchte Ignatius sein Erstaunen nicht zu spielen. »Sie haben die Sonne hergestellt?«
»Die Sonne Satans.«
»So hat er sie genannt.«
»Das hätten Sie gleich sagen können.«
Der Mönch hob die Schultern. »Pardon, ich habe mich nicht getraut, Luna.«
Ihr schön geschwungener Mund verzog sich an den Rändern. »Es ist schon ungewöhnlich, ein Kunstwerk so zu bezeichnen. Aber grundlos wird er das nicht getan haben.«
»Das denke ich auch.«
»Dann kommen Sie bitte mit, wenn Sie sich die Sonne anschauen wollen. Sie ist hier.«
»Danke.« Ignatius ließ die Frau vorgehen und fragte sich, ob er erneut in eine Falle hineintappte. Wenn ja, wußte er zumindest Bescheid und konnte sich darauf einstellen.
Durch die zweite Tür betraten sie Luna Limettis Werkstatt. Hier entdeckte Ignatius all die Dinge, die gebraucht wurden, um die Kleider herzustellen. Zangen und Hämmer. Da wurde gelötet, da gab es auch einen kleinen Schweißbrenner und überall hingen Ketten in den verschiedensten Größen.
»Sie scheinen ja gut zu tun zu haben«, sagte Ignatius.
»Ich kann mich nicht beschweren.«
»Arbeiten Sie allein?«
»Ja, meistens. Hin und wieder helfen mir einige junge Leute. Es arbeiten auch Models für mich, an denen ich meine Kreationen anprobiere. Ich sehe sie lieber am lebenden Objekt als auf dem Körper einer Puppe.«
»Das finde ich auch besser.«
Luna breitete die Arme aus. »Schauen Sie sich um, Ignatius, vielleicht sehen Sie die Sonne. Ich hole uns einen Schluck zu trinken. Allmählich wird es hier warm.«
Das stimmte. Obwohl Vorhänge die beiden Fenster bedeckten, nahm die Temperatur zu, und Ignatius hatte sich schon mehr als einmal den Schweiß von der Stirn gewischt.
Luna Limetti war über die Treppe nach oben gegangen. Bestimmt wohnte sie über ihrer Werkstatt. Ignatius fragte sich, wieviel die Frau wußte. War sie von Ben Torri in das Geheimnis der Satanssonne eingeweiht worden oder wußte sie nur Dinge, die am Rande interessant waren? Das wollte er herausfinden.
Die Sonne Satans sah er nicht. Zumindest sah er keinen Gegenstand in der Nähe, den er als Sonne hätte identifizieren können. Das beruhigte ihn keineswegs, denn Luna Limetti hatte überhaupt nicht erstaunt reagiert, als der Begriff gefallen war. Sie war anscheinend schon eingeweiht.
Er hörte ihre Schritte, als sie zurückkehrte. In der einen Hand hielt sie eine gut gekühlte Flasche mit Rosé-Wein, in der anderen zwei Gläser.
»So, das haben wir uns verdient, Ignatius.« Sie stellte die Gläser hin und schenkte ein.
»Salute.«
Beide tranken. Der Wein glitt kühl über die Zunge des Mannes, und er spürte auch den leichten Nachgeschmack. Der Rose schmeckte ein wenig nach Harz. Mit diesem Geschmack erinnerte er an die griechischen Gewächse.
»Schmeckt er Ihnen, Ignatius?«
»Ja, man kann ihn gut trinken.«
»Es ist mein Lieblingswein. Einer aus Sizilien übrigens. Nehmen Sie noch einen Schluck.« Auch sie trank, und Ignatius hoffte, daß sie zum Thema kommen würde. Als sie es nicht tat, stellte er die Frage:
»Wo finde ich die Sonne?«
»Haben Sie sie noch nicht entdeckt?«
»Leider nein.«
Sie schlug gegen ihre Stirn. »Entschuldigung, ich bin manchmal wirklich dumm. Sie steht
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