1026 - Der Favorit
kommen können. Bei der Lugosiade kam es darauf an, außergewöhnliche Fähigkeiten zur Schau zu stellen, Dinge zu tun, für die es keine vernünftige Erklärung zu geben schien. Die Betschiden waren zu dem Schluß gekommen, daß ähnliche Fähigkeiten gesucht wurden, wie Jörg Breiskoll sie besessen hatte. Dieser junge Jäger hatte die Absichten lebender Wesen vorherahnen, sogar mitunter ihre Gedanken erkennen können.
Für einen Augenblick schwemmten Erinnerungen an die Zeit auf Chircool alle Gedanken an die bevorstehende Lugosiade hinweg. Mallagan dachte mit Wehmut an die Tage der Jagd, an die Nächte im Dschungel und an das Dorf, dessen Bewohner sich fast ausnahmslos eingebildet hatten, in einem Raumschiff zu leben.
Wie mochte es ihnen ergangen sein?
Die Kranen hatten ihnen die Spoodies gegeben, und unter deren Einfluß würde selbst ein Kapitän St. Vain nicht imstande sein, den Selbstbetrug länger aufrechtzuerhalten. Die Betschiden hatten sicher längst eine ganz andere Einstellung zu ihrem Leben und zum Dschungel von Chircool, als in all den Generationen davor. Vielleicht vermißten sie nicht einmal den Alten vom Berg, der Chircool gemeinsam mit Mallagan, Brether und Scoutie verlassen hatte.
Ungerufen tauchte vor Mallagans innerem Auge das Bild dieses seltsamen Wesens auf.
Douc Langur hatte es sich genannt. Es war im Nest der Achten Flotte von Bord gegangen, und sie hatten nichts mehr von ihm gehört oder gesehen.
Der Betschide rief sich zur Ordnung und verjagte die Erinnerungen. Wichtig war allein die Tatsache, daß auch Jörg Breiskoll keine Störungen vertragen konnte, wenn er seine Fähigkeiten anwendete. Ein falsches Wort im falschen Augenblick konnte alles zerstören.
Eine eingehende Untersuchung aber, die in diesem Fall nicht nur das körperliche, sondern auch das geistige Befinden der ehemaligen Gefangenen umfassen mußte, wäre mehr als eine Störung gewesen. Es erschien ihm als absolut logisch, daß die Teilnehmer der Lugosiade von solchen Belästigungen verschont bleiben sollten.
Er sah aber auch eine Gefahr, an die er vorher gar nicht gedacht hatte.
„Brether und Scoutie arbeiten nicht für euch", sagte er langsam. „Wenn sie etwas herausfinden, werden sie alles verderben."
„Fürchtest du, daß sie dich verraten könnten?"
Mallagan schüttelte lächelnd den Kopf.
„Niemals!" behauptete er. „Sie würden es nicht einmal dann tun, wenn sie annehmen müßten, daß sie Grund dazu hätten, denn ich bin ein Betschide, und es gibt in diesem Teil des Herzogtums nur drei von unserem Volk. Aber sie würden versuchen, mich zurückzuhalten, vielleicht sogar die Spoodies zu entfernen."
„Das dürfte ihn kaum gelingen", meinte der Erleuchtete amüsiert. „Trotzdem - die Gefahr läßt sich nicht leugnen. Aber ehe wir uns darüber länger den Kopf zerbrechen, sollten wir es ausprobieren. Du wirst den Rest der Zeit bei deinen Freunden verbringen. Dann werden wir bald wissen, ob sie eine Veränderung an dir bemerken."
Mallagan fragte nicht danach, was mit den beiden geschehen würde, wenn sie dem Geheimnis auf die Schliche kamen. Er stand auf und blickte abwartend zu dem riesigen Kranen auf.
„Wir haben uns des öfteren mit deinen Freunden unterhalten", erklärte der Erleuchtete.
„Ein gewisses Ruhebedürfnis wirst du damit erklären können, daß die Unterhaltung in deinem Fall besonders intensiv ausgefallen ist."
„Ich verstehe", murmelte Mallagan, und plötzlich stieg die Ungeduld so heftig in ihm auf, daß er unwillkürlich mit voller Wucht mit der Handkante gegen das Bett schlug.
„Empfindlich?" erkundigte der Krane sich spöttisch.
Mallagan zuckte zusammen und umklammerte sein rechtes Handgelenk.
„Nein", sagte er tonlos. „Dieses Nichtstun macht mich noch verrückt."
„Denke über die Lugosiade nach", empfahl der Erleuchtete.
„Was glaubst du, was ich die ganze Zeit über mache?" schrie Mallagan wütend. „Ich habe mich nicht für diesen Wahnsinn gemeldet. Ihr wollt doch, daß ich gut dabei abschneide. Gebt mir also gefälligst einen guten Rat, wenn ihr schon kein fertiges Rezept bei der Hand habt!"
Die rechte Hand des Kranen legte sich auf Mallagans Schultern, als wollte sie den Betschiden zu Boden drücken.
„Beruhige dich!" bat der Erleuchtete beschwörend. „Wir würden dir sehr gerne sagen, was du zu tun hast, aber das geht nicht. Du mußt selbst herausfinden, womit du die Leute beeindrucken kannst, sonst wirst du niemals die richtige Wirkung auf sie
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