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1026 - Der Favorit

Titel: 1026 - Der Favorit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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Cylam hatte den Eindruck, daß der Junge ihm gar nicht zuhörte, sondern seltsamen Träumen nachhing.
    Er sagte sich, daß es keinen Sinn hatte. Der Junge würde nicht antworten - selbst dann nicht, wenn Rujum den Eindruck gewinnen mußte, daß es um sein Leben ging. Die Bruderschaft hatte ihre Hände im Spiel, und sie verstand es, sich abzusichern.
    Er stand auf und ging hinaus. Rujum schien es nicht einmal zu bemerken. Der Krane schloß die Tür ab und vergewisserte sich, daß dem Jungen kein Fluchtweg blieb. Er sah kurz in den Raum, in dem Wyskynen untergebracht war, aber der Prodheimer-Fenke war noch nicht zurück. Er hatte sich in der Stadt umsehen wollen, und das würde einige Zeit in Anspruch nehmen.
    Cylam verließ das Haus der Kämpfer und rief einen Schweber herbei. Er wußte, wo er Nyrm finden konnte.
    Wenig später stand er einem wuchtigen Tart gegenüber, der ihm zwar nur bis zur Brust reichte, dafür aber doppelt so breit wie der Krane war.
    „Was willst du?" fragte der Tart unfreundlich.
    „Ich muß mit Nyrm reden", erklärte Cylam und nannte seinen Namen. „Melde mich bitte an."
    „Nyrm ist nicht zu sprechen!" behauptete der Tart und trat zurück. Die Tür schloß sich automatisch, und sie tat das so schnell, daß ein lebendes Wesen keine Chance hatte, in das Gebäude zu gelangen. Cylam aber bewegte sich so schnell, daß der Tart nur einen dunklen Schatten sah. Ehe er es sich versah, stand der Krane ihm erneut gegenüber, und als der Tart die Fäuste hob, um den unerwünschten Gast eigenhändig hinauszuwerfen, traf ihn ein Schlag, der ihn quer durch die Eingangshalle warf. Benommen starrte er den Kranen an.
    „Melde mich an!" sagte der Krane unbewegt.
    Der Tart rappelte sich ernüchtert auf.
    „Du bist der Cylam?" fragte er kleinlaut.
    Der Krane lächelte.
    „So etwas muß einem doch gesagt werden!" murmelte der Tart nervös. „Warte einen Augenblick."
    Damit verschwand er in einem winzigen Raum. Cylam hörte ihn sprechen, dann erklang eine andere Stimme. Der Tart tauchte wieder auf und bedeutete ihm, daß er ihm folgen sollte.
    Nyrm eilte dem Kranen entgegen, als sie das zweite Stockwerk erreichten. Sie war klein und zierlich - nach kranischen Maßstäben - und trug statt der üblichen Einheitskleidung einen weißen Hausanzug aus weichem Stoff, der sie noch schlanker erscheinen ließ.
    „Ich will nicht gestört werden!" sagte sie zu dem Tart, um sich dann dem Kranen zuzuwenden. Sie begrüßten sich auf die bei ihrem Volk übliche Weise, dann führte Nyrm den Gast in ein behaglich eingerichtetes Zimmer.
    „Wie lange haben wir uns nicht gesehen?" fragte sie mit leuchtenden Augen.
    „Seit fünf Jahren", erwiderte Cylam nüchtern.
    „Mir kommt es viel länger vor. Ich wußte gar nicht, daß du auf Couhrs bist. Willst du dir die Lugosiade ansehen?"
    „Ich werde daran teilnehmen", sagte der Krane lächelnd.
    Nyrm starrte ihn entgeistert an.
    „Ich habe davon noch nichts gehört", sagte sie schließlich. „Was soll das, Cylam? Hältst du es geheim - oder tun das andere für dich?"
    „Beides. Aber das ist jetzt unwichtig."
    „Aber..."
    „Es war nicht meine Entscheidung", fiel Cylam ihr ins Wort. „Wir sollten nicht weiter darüber reden. Ich bin wegen eines Jungen hergekommen, der ein Empfehlungsschreiben vorzuweisen hatte. Er heißt Rujum. Erinnerst du dich an ihn?"
    Nyrm stutzte.
    „Oh ja", sagte sie dann. „Ein Sohn von Tarnis. Ist etwas nicht in Ordnung?"
    „Nein", murmelte Cylam, während seine Gedanken sich überstürzten.
    Tarnis war einer der drei Stadtverwalter von Couhrs-Yot. Cylam hatte ihn von einem seiner Besuche her als einen ruhigen, besonnenen Mann in Erinnerung, der weise und gerecht über alles urteilte, was ihm vorgetragen wurde. Tarnis galt obendrein als Vertrauter der drei Herzöge.
    „Hat Tarnis dich gebeten, das Schreiben zu verfassen?" fragte er.
    „Nein, das war Rujum selbst. Er verehrt dich und deine Ideen. Es war sein größter Wunsch, dein Schüler zu werden. Als er erfuhr, daß ich dich kenne, hat er mich stundenlang nach dir ausgefragt. Er ist sehr begabt."
    „Hast du ihn jemals kämpfen sehen?"
    „Ja, mehrmals."
    „Würdest du gegen ihn antreten?"
    „Ich hasse Niederlagen!"
    Cylam sah die Kranin nachdenklich an. Nyrm beherrschte die alten Kampftechniken, die in der Praxis kaum noch zur Verwendung kamen, bis zum siebenten Grad. Rujum dagegen war vier Stufen darunter steckengeblieben. Und noch etwas war seltsam: Tarnis war gewiß nicht der Mann, der

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