104 - Mr. Silvers Sohn
bist Henry Huston. Der nette Henry Huston, mit dem ich soviel Spaß hatte. Wir wollen die ganze Sache vergessen, ja? Bitte, laß Stuart und mich gehen.«
»Ich dachte, du kennst ihn nicht.«
»Na schön, ich gebe es zu. Er ist ein Freund von mir, kann Schlösser knacken. Als ich sah, daß du diesen Koffer hütest wie deinen Augapfel, dachte ich, es müsse etwas Wertvolles darin sein.«
»Es gibt in der Tat nichts Wertvolleres als das Höllenschwert«, behauptete Henry Huston.
Kann ich ihn denn nicht zur Vernunft bringen? fragte sich das Mädchen verzweifelt.
»Stuart!« stieß sie aufgeregt hervor. »Meine Güte, steh doch nicht da wie ein Ölgötze. Sag auch etwas.«
Aber der Dieb schwieg. Totenblaß war er, unfähig zu denken oder zu handeln.
»Wirst du uns nun gehen lassen, Henry?« fragte Judy kleinlaut. »Es tut mir ehrlich leid, was ich getan habe. Ich… ich hätte es nicht tun sollen. Wenn du mir erlaubst, deine Suite zu verlassen, siehst du mich garantiert nicht wieder, das verspreche ich dir.«
Hustons Blick richtete sich auf das schwarze Schwert, das auf dunkelblauem Samt lag.
»Ich kann euch nicht gehen lassen«, sagte er.
»Dann… dann behalte Stuart hier und laß nur mich…«
»Du verstehst nicht, Judy«, sagte Henry Huston kalt lächelnd. »Ich kann euch nicht gehen lassen, weil das Höllenschwert euch töten möchte!«
Das Herz des Mädchens krampfte sich zusammen. Huston war von der fixen Idee besessen, das Schwert würde leben, hätte einen eigenen Willen.
Jetzt griff er danach.
Judy raffte all ihren Mut zusammen, hob trotzig den Kopf, blickte Huston fest in die Augen und sagte entschlossen: »Ich werde jetzt gehen, Henry, und du wirst mich nicht daran hindern!«
Huston setzte die Schwertspitze auf den Boden und stützte sich mit beiden Händen auf den Griff.
»Also gut«, sagte er, als hätte ihn das Mädchen hypnotisiert. »Geh.«
Man muß ihm nur zeigen, daß man keine Angst hat, dachte Judy. Dann wird er unsicher und gibt klein bei. Ich darf meine Angst vor diesem Wahnsinnigen nicht erkennen lassen. Bleib jetzt stark, Judy! Nur für wenige Augenblicke!
Sie setzte sich in Bewegung - sehr langsam, sehr vorsichtig, denn sie wollte nicht, daß Henry durchdrehte und mit seinem Schwert zuschlug.
Sie ließ Huston nicht aus den Augen, näherte sich der Tür. »Stuart, kommst du mit?«
Ihr Jugendfreund reagierte nicht. Himmel noch mal, was ist mit Stuart los? fragte sie sich.
Wenn er nicht mitkam, war das seine Sache. Sie hatte es ihm angeboten. Die Entscheidung lag bei ihm.
Sie hatte die Tür erreicht und griff nach dem Türknauf. Sie drehte ihn, aber die Tür ließ sich nicht öffnen.
Natürlich nicht, es war ja abgeschlossen. Judys Herz schlug bis zum Hals hinauf.
Ohne hinzusehen, suchte ihre Hand den Schlüssel. Nach wie vor ließ sie Henry Huston nicht aus den Augen.
Wie ein modern gekleideter Ritter stand er da, immer noch auf sein Schwert gestützt. War es wirklich so wertvoll? Oder hatte die Waffe eher einen ideellen Wert?
Judy drehte den Schlüssel. Es ging merkwürdig zäh. Sie mußte einen weichen Widerstand überwinden, als hätte sich jemand den Spaß erlaubt, Kaugummi ins Schlüsselloch zu drücken.
Endlich hörte sie das Schloß schnappen. Sie griff mit der anderen Hand wieder nach dem Knauf, aber die Tür ließ sich immer noch nicht öffnen.
Wieso nicht? Sie hatte doch soeben aufgeschlossen!
Nervös wandte sich Judy der Tür zu und bemerkte, daß diese plötzlich einen violetten Rahmen hatte. Unwillkürlich kam ihr der Gedanke, daß dieses geheimnisvolle Leuchten ein Öffnen der Tür verhinderte.
Obwohl das den Tatsachen entsprach, verwarf sie diesen Gedanken als unsinnig und rüttelte immer wilder am Knauf.
Plötzlich drehte sich der Schlüssel. Klack! Klack! Es war wieder abgeschlossen. Judy Simmons konnte es sich nicht erklären.
Irgend etwas wirkte weiter auf den Schlüssel ein. Eine unsichtbare, unbegreifliche Kraft. Sie zog den Schlüssel ab, doch er fiel nicht zu Boden, sondern schwebte durch den Raum, auf Henry Huston zu und verschwand in dessen Tasche.
Wie hatte er das gemacht? Judy Simmons war fassungslos. Aber auch wütend.
»Du hast mir erlaubt, zu gehen!« stieß sie empört hervor.
Er grinste. »Ich hindere dich nicht daran.«
»Doch, das tust du! Gib mir den Schlüssel!«
»Du weißt, wo er sich befindet.«
Judy schluckte. Hieß das, sie sollte ihn sich holen? Sollte das eine Art Mutprobe sein? Judy mußte sich überwinden, zu Henry
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