1041 - Der Rächer
mit einer Salbe eingerieben worden, die angenehm kühlte. Auch jetzt spürte er nichts mehr davon, daß ihn einfach die Feuerzungen erwischt hatten. Die paar angesengten Haare ließen sich verkraften, sie würden ihn nicht behindern.
Jemand klopfte an der Tür und öffnete sofort. Patrick Shannon drehte den Kopf noch ein wenig nach rechts, um den Eintretenden sehen zu können. Es war ein kleiner, ihm fremder Mann, der einen grauen Trench mit Innenfutter trug. Entweder war der Mantel zu groß oder der Träger zu klein, jedenfalls sah er aus, als würde er darin versinken. Auf seinem Kopf »klebte« eine Baskenmütze, die er jetzt abnahm, sich einen Stuhl holte, und neben dem Bett Platz nahm. Der Mann hatte schüttere rotblonde Haare, und auf dem runden Gesicht verteilten sich viele Sommersprossen. Der Mann wirkte auf Patrick melancholisch, was allerdings täuschte, denn der Blick in die Augen des Besuchers sagte ihm genug. Hier saß jemand, der genau wußte, was er wollte, und geschickt tarnte.
»Die Schwester sagte mir, daß sie bereit sind, einige Worte mit mir zu sprechen, Mr. Shannon.«
»Mal schauen.«
»Ich bin übrigens Inspektor Biker. Darf ich Ihnen zunächst mein Beileid aussprechen?«
»Danke.«
Biker seufzte. »Ich habe selbst Familie. Ich weiß, wie es in Ihnen aussieht und…«
»Tatsächlich?« höhnte der Lehrer. »Wissen Sie das tatsächlich? Haben Sie Ihre Familie schon verloren?«
»Das nicht. Aber…«
»Ich lasse kein Aber gelten, Inspektor. Lassen Sie die Floskeln und kommen Sie bitte zur Sache.«
»Natürlich, sofort.« Biker nickte vor sich hin. »Es ist eigentlich alles klar, und trotzdem steht noch vieles offen.«
»Beginnen Sie mit dem, was klar ist.«
»Es war Brandstiftung.«
»Das dachte ich mir. Und das Schwein zündete die Kirche an, als sich meine Familie darin aufhielt.«
»Davon gehen wir ebenfalls aus, Mr. Shannon. So schwer es Sie auch getroffen hat, aber Sie sind unser einziger Zeuge, wie man immer so schön sagt. Deshalb möchte ich gern von Ihnen wissen, was Sie gesehen und erlebt haben. Natürlich nur, wenn Sie sich auch in der Lage befinden, darüber zu sprechen.«
»Keine Sorge, ich werde reden können, und Sie werden mir auch sicherlich zuhören. Aber ich kann Ihnen schon jetzt sagen, daß es Sie nicht viel weiterbringen wird.«
Biker seufzte. »Das habe ich fast befürchtet. Ich höre Ihnen trotzdem zu.«
Er hielt sein Versprechen und unterbrach Shannon nicht mit einer Zwischenfrage. Er machte sich nicht einmal Notizen, nickte hin und wieder und schaute noch trauriger.
Später fragte er: »Wer, zum Teufel, zündet ein Gotteshaus an? Wer macht das?«
»Der Teufel, Inspektor. Sie haben es schon erwähnt.«
»Ich würde ihn gern kennenlernen.«
»Ich auch.«
»Sie haben nichts gesehen, Mr. Shannon?«
»Nein, gar nichts. Sie kennen meine Geschichte. Ich… ich … wollte noch in die Kirche hineinlaufen, aber selbst das schaffte ich nicht. Das Feuer war zu stark. Dafür habe ich dann meine Familie brennen sehen.« Patrick preßte die Lippen zusammen. Er wollte nicht weinen, nicht vor diesem Polizisten, aber der Strom aus Tränen ließ sich nicht stoppen, und so brach er aus ihm hervor.
Der Inspektor blieb am Bett des Mannes sitzen, bis sich der Patient wieder gefaßt hatte. Shannon rieb seine Augen trocken, er putzte sich die Nase und räusperte sich. »Pardon, aber…«
»Es ist schon klar, Mr. Shannon. Sie haben eine Hölle hinter sich, und es wird lange dauern, bis sie das verkraftet haben.«
»Nie, Inspektor, niemals. Diese in mich geschlagene Wunde wird nie mehr heilen.«
»So schnell nicht, das stimmt schon.«
»Nie mehr, sagte ich.«
»Ja, ich verstehe. Trotzdem möchte ich noch einmal auf den Brandanschlag zurückkommen. Können Sie sich vorstellen, daß jemand einen so großen Haß auf die Kirche hat, um zu dieser Tat fähig zu sein? Das ist schon mit dem Begriff Wahnsinn nicht mehr zu rechtfertigen. Da muß etwas anderes dahinterstecken.«
»Es gibt doch diese Psychopathen. Flammenteufel, die ihren Spaß daran haben, wenn es brennt.«
Biker legte den Kopf schief. »Meinen Sie wirklich?«
»Dann hätte ich es nicht gesagt.«
»Ja, das stimmt schon, Mr. Shannon. Nur komme ich nicht so recht mit. Ich kann diesem Gedankengang einfach nicht folgen. Ich habe mir mal Akten ähnlich gelagerter Fälle kommen lassen, und ich muß Ihnen mitteilen, daß es zwar diese Flammenteufel gibt, aber sie haben eigentlich nie Kirchen angezündet. Da brannten
Weitere Kostenlose Bücher