1041 - Der Rächer
das Licht und trat in den Flur. Dort blieb er stehen, ein Schatten in der Düsternis, denn er hatte kein Licht eingeschaltet. Der Vergleich gefiel ihm.
Auch ich bin ein Schatten, dachte Shannon. Und ich werde aus der Finsternis kommen und wieder zurück in sie hineintauchen. Und danach wird nichts mehr so sein wie zuvor.
Diese Vorstellung machte ihm Mut und putschte ihn auf. Er sah die Zukunft vor sich. Er würde in sie hineintauchen und sie so bestimmen, wie er es für richtig hielt.
Langsam schritt er die Treppe hinunter. Das Haus war still, sehr still. Shannon hörte nur sich selbst, obwohl er flach und kaum hörbar durch die Nase atmete.
Am Fuß der Treppe blieb er stehen. Diesmal klang sein Atemzug laut, als er die Luft einsaugte. Dann drehte er sich nach links und bewegte er sich auf sein Arbeitszimmer zu. Von seinem Refugium wollte er Abschied nehmen.
So schnell würde er diesen Raum nicht mehr wiedersehen, falls es überhaupt noch ein Zurück gab. Auf Zehenspitzen betrat er den Raum. Der Blick fiel zuerst auf den Schreibtisch. Dort stand auch das Bild seiner Frau. Sie lächelte ihm entgegen und hielt die beiden Kinder an den Händen. Das Bild sah aus, als wollte sie dem Betrachter entgegenlaufen.
Shannon schluckte. Er drehte das Foto herum. Einen Moment überlegte er, ob er es einstecken sollte, dann schüttelte er den Kopf.
Nein, keine sentimentalen Erinnerungen mehr. Nichts, was die Zukunft belasten könnte. Die Vergangenheit sollte ein- für allemal ausgeschaltet werden.
Er wollte das Licht ausschalten, als genau in diesem Augenblick das Telefon tutete. Shannon schrak zusammen. Wieder durchschoß ihn ein heißer Strom. Seine Hand zuckte zum Hörer, dann wieder zurück, wieder vor und zurück.
Abheben oder nicht?
Er hob ab, aber er war mit seinen Gedanken nicht bei der Sache, als er sich meldete.
»Ich grüße Sie, Patrick«, hörte er die sonore Stimme des Pfarrers.
Der Mann konnte nie leise sprechen. Auch jetzt, in den Zeiten der Trauer, hatte er damit seine Probleme.
»Was wollen Sie, Walter?«
»Ich habe gehört, was…« Der Pfarrer wußte nicht, was er sagen sollte. »Es ist so furchtbar. Wir stehen da und sind fassungslos. Ich kann mir vorstellen, wie Ihnen zumute ist, Patrick. Deshalb wollte ich Sie bitten …«
Shannon unterbrach ihn. »Können Sie sich das wirklich vorstellen?« fragte er.
»Ja, nein…«
»Nein, das können Sie nicht, Walter! Niemand kann es, und ich brauche auch keinen Trost von Ihnen, verstanden?«
Es war zu hören, wie der Pfarrer Luft holte. »Aber Patrick, ich meine, wir sollten…«
»Gar nichts sollten wir. Es ist vorbei. Haben Sie mich verstanden? Vorbei!« schrie er noch einmal in den Hörer und legte auf.
Er war erregt. Er stand unter Strom. In seinem Gesicht spiegelten sich die Gefühle wider. Haß, Abscheu, Wut – und die auf den Anrufer, den Pfarrer, mit dem er sich einmal so gut verstanden hatte.
Aber das war vorbei, für immer und ewig, das schwor er sich. Ab jetzt würde er ein neues Leben führen.
Das Leben eines rächenden Phantoms!
***
Glenda Perkins blies auf den heißen Kaffeedampf, als sie die Tasse anhob wie ein Whiskytrinker das Glas.
»Worauf sollen wir trinken?« fragte ich.
Sie überlegte einen Moment und meinte dann: »Auf eine gute Reise, zum Beispiel.«
Suko und ich schauten uns erstaunt an. »Du willst Urlaub machen?« fragte mein Freund schließlich.
Glenda trank ihren Kaffee, stellte die Tasse hin und schüttelte den Kopf. »Nicht ich mache Urlaub. Ihr werdet wohl verreisen müssen, wie ich das sehe.«
Mich überfiel ein leichtes Schütteln. »Im November? Zu dieser Jahreszeit?«
»Klar.«
»Eine Dienstreise?«
»Erfaßt, John.«
Ich zählte auf. »Malediven, Südsee, Karibik, Australien…«
»Oder Irland«, unterbrach mich Glenda.
»Dort sollen wir hin?«
»Kann sein.«
»Warum?«
Glenda Perkins wechselte das Thema. »Wollt ihr eigentlich keinen Kaffee? Er ist frisch.«
»Du willst nur ablenken«, sagte ich.
»Nein, Irrtum. Ich soll euch im Büro halten, bis Sir James eintrifft. Er ist im Moment noch verhindert. Er wird euch alles Wichtige mitteilen.«
»Wobei er dich schon eingeweiht hat, schätze ich.«
»Ein wenig.«
Es hatte keinen Zweck, nachzufragen. Wenn Glenda nicht wollte, blieb sie hart. Zudem war es durchaus möglich, daß sie nichts wußte, denn Sir James sprach mit ihr nicht immer über Internes. Ich schenkte mir eine Tasse voll und nahm auf der Schreibtischkante im Vorzimmer Platz. Den
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