1041 - Der Rächer
seine Probleme sprechen. Sie war eine Frau, die auch zuhörte.
Das Haus, in dem die Familie Shannon wohnte, war von ihr gemietet worden. Die Miete hielt sich in Grenzen, und so kamen sie recht gut über die Runden, ohne große Sprünge machen zu können.
Wegen der Kinder war Maureen nicht berufstätig. Sie hatte früher in einem Krankenhaus als Schwester gearbeitet. Da hatte Patrick sie auch kennengelernt, als ihn ein Beinbruch ins Bett getrieben hatte.
Nachdem Maureen mit den beiden Kindern das Haus verlassen hatte, war es still geworden. Die Zimmer verteilten sich auf zwei Etagen. Sie waren nicht sehr groß, aber Maureen hatte durch geschicktes Stellen der Möbel das Optimale aus ihnen herausgeholt. In den oberen Etagen schliefen die Kinder und auch die Eltern, während sich Patrick unten sein kleines Arbeitszimmer eingerichtet hatte. Dort stand auch das alte, von den Großeltern geerbte Sofa, auf dem Patrick so gern lag und so gut nachdenken konnte.
Von diesem Platz aus konnte er auf seinen Schreibtisch sehen. Darauf verteilten sich einige Unterlagen, mit denen er sich eigentlich hatte beschäftigen wollen, doch er war einfach zu matt, zu müde und gleichzeitig zu unruhig.
Das wunderte ihn. Er konnte sich nicht vorstellen, woher diese Unruhe stammte. Eigentlich war alles okay. Ein normaler Abend im November. Trübe und düster. Für viele Menschen nicht gerade erstrebenswert, denn ihnen schlug die Düsternis aufs Gemüt. Damit hatte Shannon im Normalfall nichts zu tun, denn er konnte dem Monat November auch seine romantischen Seiten abgewinnen.
Nur an diesem Abend nicht.
Unruhig wanderte er durch sein kleines Arbeitszimmer. Der Schreibtisch stand so, daß man ihn umgehen konnte. Patrick lief seine Runden, ließ die Blicke an den mit Büchern gefüllten Regalen entlangwandern, schaute mal durch das geschlossene Fenster und stellte fest, daß es eigentlich zu warm war.
Er brauchte Luft und öffnete das Fenster, vor dem er stehenblieb.
Die Luft war kalt. Es wehte kaum Wind, und so vertrieb nichts den Dunst. Trotzdem nahm er dem Mann nicht die Sicht. Patrick schaute in den Ort hinein. Er sah die Lichter, er sah die Laternen, die Häuser, die Autos, die durch die Dunkelheit zu kriechen schienen, und er nahm den Geruch des am Boden liegenden Laubes wahr, der ihm feucht und auch faulig in die Nase stieg, als hätte sich an einigen Stellen der Boden geöffnet.
Die Kirche sah er nicht. Bei Tageslicht hätte er sie sehen können, denn sie lag genau in seiner Blickrichtung. So aber war alles von der Dunkelheit verschluckt worden.
Maureen und die Kinder waren nicht mit dem Auto gefahren. Sie hatten für die recht kurze Strecke ihre Räder genommen, alles andere wäre Unsinn gewesen.
Patrick trug ein kariertes Baumwollhemd, das am Kragen offenstand. Er spürte zwar die Kühle auf der Haut, ignorierte sie aber und schaute nur seinem Atem nach, der sich mit dem über dem Boden hängenden Dunst vermischte.
Es war ein ruhiger Abend. Vom Dorf her vernahm er kaum Geräusche. Die meisten Menschen wollten ihre Ruhe haben und nichts anderes. Abende liefen hier anders ab als in den Großstädten. Sie waren viel beschaulicher, und gerade das liebte die Familie Shannon. Es war auch alles wie an den Abenden zuvor, und der Lehrer konnte sich seine Unruhe einfach nicht erklären. Er wußte allerdings, daß sie nicht mit seiner Arbeit in der Schule zusammenhing.
Dies hier war etwas anderes. Ein bedrohliches Gefühl, das immer stärker von ihm Besitz ergriff.
Erklären konnte er sich das nicht, denn Maureen und die beiden Kinder waren in der Kirche gut aufgehoben. Gerade Maureen war sehr gläubig, und sie wollte diesen Glauben auch ihren Nachkommen vermitteln. Ansonsten lebte die Familie völlig normal. Sie bot keinen Ansatzpunkt für irgendwelche Angriffe.
Natürlich hatte es hin und wieder Streit gegeben, das blieb einfach nicht aus. Nicht nur in der eigenen Familie, auch außerhalb gab es manchmal Zoff, doch das war kein Grund für Patrick, unruhig zu sein. Er war auch nicht unbedingt wetterfühlig, deshalb verstand er seinen Zustand nicht.
Er schloß das Fenster. Sein Frösteln hatte nicht allein an der Kühle gelegen. Es war auch seinem inneren Zustand zuzuschreiben, und darüber sorgte er sich.
Patrick verließ das Arbeitszimmer. Er ging in die Küche und schaltete dort das Licht ein. Maureen hatte vor dem Verlassen des Hauses noch aufgeräumt. Es kam ihm plötzlich vor, als wollte sie nie mehr zurückkehren und hätte
Weitere Kostenlose Bücher