1046 - Der Hexenturm
Turm von innen anschauen.«
»Klar, ich lasse Mara nicht allein gehen.«
Der Pfähler grinste mich an. »Ihr werdet sprachliche Schwierigkeiten haben.«
Mehr brauchte er nicht zu sagen. Ich wußte auch so Bescheid. »Okay, du willst mit.«
»Was hast du denn gedacht? Und sag mir nicht, daß ich zu viele Stufen hochgehen muß.«
Ich hob beide Hände an. »Um Himmels willen, daran habe ich nicht im Traum gedacht.«
»Du lügst schlecht, John.« Er zwinkerte mir zu und ballte beide Hände zu Fäusten. Das war der echte Frantisek Marek. So kannte ich ihn. Er drehte sich weg und ging zu Mara, um ihr zu erklären, was wir vorhatten.
Die junge Frau schaute mich an, nickte und wies auf den Turm, während sie leise sprach.
Marek winkte mit beiden Händen ab. Er sprach aber zu mir. »Sie hat es eilig.«
»Dann sollten wir gehen.«
Bill schlug mir auf die Schultern. »Halt nur ja deine Augen offen«, flüsterte er. »Mir gefällt das hier alles nicht. Ich weiß auch nicht, weshalb, aber selbst hier draußen habe ich ein verdammt ungutes Gefühl. Ich kann mich irren, doch…«
»Keine Sorge, wir sind nicht aus der Welt.«
»Und was tust du, wenn du die Kinder findest?«
Ich spürte einen Stich, der meinen Magen traf. »Wie meinst du das genau?«
»Tot«, wisperte Bill.
Ich schluckte. Es war ein Alptraum, der mich quälte. Ich hatte auf dem Weg hierher immer daran gedacht und gehofft, daß so etwas niemals eintreten würde. Und wenn ich diese düstere Umgebung sah, dann war sie die passende Kulisse für das Grauen.
»Laß es gut sein, Bill«, sagte ich.
»Aber es ist nicht ausgeschlossen, wenn du ehrlich bist. Sie sind schon lange von ihren Eltern weg, John. Ob sie überlebt haben, ist fraglich. Nicht bei diesen Bestien.«
»Bis später«. Ich wandte mich ab und ging zu Mara und Frantisek Marek. Er hatte einen Arm um die Schultern der Frau gelegt und sprach leise auf sie ein.
»Bereit, John?«
»Ja.«
»Dann laß uns gehen.« Er sagte es mit einer schweren Stimme, wie jemand, der losging, um einen geliebten Menschen zu Grabe zu tragen…
***
Es war für uns gar nicht so leicht gewesen, den Eingang zu erreichen, denn mehr als einmal mußten wir klettern. Es lag einfach zu viel Geröll im Weg. Spitze oder breite Hindernisse, überwuchert, überwachsen. Der Wind hatte auch Laub an gewisse Stellen geweht. Auf diesem braunen Teppich verteilten sich die letzten Schneereste, die hier oben noch nicht weggetaut waren.
Auch der Zugang zum Turm war nicht so leicht zu finden. Eine Tür gab es nicht mehr. Im Laufe der Jahre mußte sie weggefault sein. Dafür hatte die Natur freie Bahn gehabt, sich auszubreiten. Farne, hohes Gras und auch biegsame Zweige bildeten ein natürliches Tor, das ein Weiterkommen sehr erschwerte.
Ich hatte die kleine Leuchte eingeschaltet. Hier draußen brachte das Licht zwar nicht viel, doch ich fand den Eingang besser. Über uns verabschiedete sich die blasse Helligkeit des Tages. Der Himmel verlor seine letzten, hellen Flecken, und die Schatten der Dämmerung legten sich wie ein Vorhang über die Welt, um alles in ihren Griff zu bekommen.
Vor dem eigentlichen Zugang baute sich noch ein weiteres Hindernis auf. Von irgendwoher war ein großer Felsbrocken gekippte oder hergerollt worden. Ihn jedenfalls mußten wir umgehen und standen dann vor diesem Viereck.
Ich betrat es noch nicht, denn ich mußte daran denken, wie oft ich mich schon in einer ähnlichen Lage befunden hatte. Es war nicht das erste Mal, daß ich einen derartigen Turm fand, auf dessen Mauerwerk die Last der Jahrhunderte lag. Diese Reste strahlten für mich immer etwas Besonderes aus, nicht unbedingt etwas Positives, denn oft genug hatte ich sie auch als Fallen erlebt.
Aus diesem Grund war ich auch so vorsichtig und leuchtete zunächst nur in den Bereich des Eingangs hinein, wobei ich meine rechte Hand mit der Lampe schwenkte, um so viel wie möglich aus der Dunkelheit hervorzuholen.
Wenn jemand hier im Turm gelebt hatte, dann waren seine Spuren gelöscht worden. Nichts mehr wies darauf hin, daß der Turm einmal bewohnt gewesen war. Es gab keine alten Möbelstücke mehr. Es war feucht, schimmelig und kalt in diesem kantigen Gefängnis, denn dieser Turm war nicht rund. Er glich einem riesigen, viereckigen Schornstein.
Aber er war noch recht gut in Schuß. Die Treppe nach oben jedenfalls war nicht zusammengebrochen. Sie sah sogar recht stabil aus. Da fehlten keine Stufen, als der Schein der Lampe über sie hinwegglitt.
Wenn
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