1046 - Der Hexenturm
überlegte kurz. »Genova? Nein.«
»Ich habe dich nur gefragt.«
»Nein, ich weiß es nicht.«
»Sie war eine Nonne.«
Palu lachte. »Da bist du auf einer falschen Spur, Marek. Mit Nonnen haben wir hier nichts am Hut gehabt. Dieser Turm hier wird Hexenturm genannt. Da sind Nonnen fehl am Platz.«
»Das wollte ich nur wissen.«
»Warum hast du denn gefragt? Hat diese Nonne etwas mit den Eulen hier zu tun?«
»Indirekt schon.« Marek winkte ab. »Wir werden ja sehen, wenn wir oben sind.«
»Fühlst du dich fit genug?« erkundigte ich mich leicht besorgt.
Der Pfähler schaute mich böse an. »Hör mal, was soll die Frage? Was hältst du eigentlich von mir?«
»Schon gut, ich habe ja nur gefragt.«
Bill grinste mich an, als er nach vorn deutete. Ein Zeichen, daß wir die letzten Meter in Angriff nahmen. Es war so etwas wie ein sehr gemächlicher Gipfelsturm. Wir kamen allerdings besser voran, denn die Natur um uns herum dünnte aus. Da standen die Bäume nicht mehr so dicht, und sie wuchsen auch nicht mehr so hoch in den Dunst hinein.
Allerdings fing der Himmel an, einzudunkeln, denn die Zeit der Dämmerung war gekommen. Lange Nächte im Januar, kurze Tage.
Davon blieb auch ein Land wie Rumänien nicht verschont.
Nach wie vor existierte kein Pfad. Wir mußten um die zumeist felsigen Hindernisse herumgehen, die aus dem Hang hervorragten und oft genug mit Moos und Unkraut bewachsen waren. Immer näher gerieten wir in den Schatten des Turms hinein. Ich schaute auch öfter hin. Das alte Gestein war mächtig, schimmerte feucht und zeigte keine großen Zerstörungen. Im Gegensatz zu den übrigen Mauern der Festung. Sie waren im Laufe der Zeit zusammengekracht, lagen in der Umgebung verstreut und waren längst von der Natur überwuchert worden. Es gab noch die Mauern, auf deren Kanten oder auch breiten Seiten des Unkraut wuchs oder Gras einen dichten Bart darüber hatte wachsen lassen.
Es war eine stille, unheimliche Umgebung mit wenigen Bäumen, auf denen die Eulen ihre Plätze hätten finden können. Dafür fiel uns der Friedhof mit seinen Gräbern auf. Sie waren mit oft hohen, inzwischen alten Grabsteinen geschmückt. Die dort eingravierten Namen und Sprüche waren längst unter dem feuchten Moos verschwunden. Hier oben spürten wir auch wieder den Wind, der gegen unsere Gesichter blies und den Nebel sehr ausgedünnt hatte. Von ihm waren praktisch nur Fetzen zurückgeblieben, kleine Inseln, die sich an besonders feuchten Stellen noch hielten.
Wir sahen keine Eulen. Jeder von uns suchte sie, doch niemand sprach darüber. Die Tiere ließen sich nicht blicken.
Einen idealen Platz und ein sicheres Versteck hatten sie hier schon. Ich ging davon aus, daß sie sich mehr im Turm aufhielten und weniger im Freien.
Marek ging die Gräber ab. Sie waren flach geworden, zusammengesackt, eingeebnet und wieder überwuchert worden. Es standen wirklich nur die Steine, und sie ragten von den Grabstellen aus wie starre Arme in die Höhe.
Der Pfähler kam zu mir. Er wollte mich ansprechen, aber Mara kam ihm zuvor. Mit leiser, zitternder und etwas weinerlicher Stimme sagte sie einige Worte, die ich nicht verstand.
Dafür aber Marek und Palu. Beide schauten die junge Mutter an. Marek stellte ihr eine Frage, erhielt auch eine Antwort, nickte und redete beruhigend auf sie ein.
»Was hat sie gesagt?« fragte Bill.
»Sie ist eine Mutter. Und als Mutter ist sie mit ihrem Kind verbunden. Mara spürt genau, daß sich ihr Baby hier in der Nähe aufhält. Sie braucht es nicht einmal zu sehen. Es ist wie ein Strom, der an sie herangetragen wurde. Ein Gefühl, versteht ihr?«
Wir nickten.
»Sie will es suchen.«
»Allein?«
Marek hob die Schultern. »Natürlich würde sie es allein suchen wollen, wenn sie ohne Begleitung wäre. Aber das ist nicht der Fall. Wir sind zu mehreren und werden ihr helfen.«
»Wo will sie denn hin?« fragte ich.
»Mara geht davon aus, daß ihr Baby in diesen alten Turm geschafft wurde. Sie glaubt fest daran, daß sich die Eulen dort verstecken.« Er deutete in die Höhe. »Irgendwo da oben, wo sich die Fenster oder Luken befinden. Für die Eulen ist es doch ein leichtes, die Stelle zu erreichen.«
»Für uns nicht«, sagte Bill.
Er hatte mir ein Stichwort gegeben. »Ich denke, daß wir nicht alle in den Turm steigen. Jemand muß hier unten auf dem Friedhof bleiben. Es ist von Vorteil, daß wir zu mehreren sind und…«
Bill Conolly ließ mich nicht ausreden. »Wie ich dich kenne, John, willst du den
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