105 - Atoll des Schreckens
neben dem Eingeborenen, das mit frischem Wasser gefüllt war.
Wasser!
Morna
schluckte. Ihr Hals schmerzte, und ihr Mund war ausgetrocknet. Sie hatte zuviel
Salzwasser geschluckt. Ein brennendes Durstgefühl quälte sie.
„Mhmmm,
mhmmm…“, brummte sie. Zu mehr war sie nicht fähig.
Der
Knebel saß tief in ihrem Mund und trocknete ihn noch mehr aus.
Die
braune Gestalt wandte den Kopf und erhob sich.
Morna
blickte nicht auf. Mit einem matten Nicken deutete sie auf das Tongefäß und
machte immer wieder: „Mhm, mhm.“ Der Eingeborene begriff. Er holte den Krug und
kam auf sie zu.
„Aber
nur unter einer Bedingung, Mademoiselle“, sprach er ein einwandfreies
Französisch. Morna zuckte zusammen, als hätte ein Peitschenschlag sie
getroffen.
Diese
Stimme! Dieses Gesicht!
Das
war der Portier aus dem kleinen Hotel am Strand.
●
Sie
machte aus ihrer Überraschung keinen Hehl.
„Versprechen
Sie mir, nicht zu schreien, Mademoiselle.“ Der junge Mann, den sie von der
Rezeption her kannte, blickte sie beschwörend an.
„Ich
darf Ihnen nichts zu trinken geben. Aber ich tu's trotzdem. Bitte, schreien Sie
nicht! Man würde Sie sofort töten.“
Morna
nickte.
Er
nahm ihr die Mundbinde ab und setzte den Tonkrug an ihre Lippen.
Das
Wasser schmeckte schal und abgestanden, aber sie trank in gierigen Zügen. Der
Eingeborene nahm den Krug wieder ab.
„Warum
halten Sie mich hier fest?“ fragte Morna heiser.
Er
antwortete zunächst nicht. Die Schwedin sah ihm an, daß ihm die Situation
unangenehm war.
„Warum?“
bohrte sie weiter. Er drehte das Tuch, mit dem Mornas Mund verbunden gewesen
war, zwischen den Fingern. „Es muß sein, es tut mir leid, Mademoiselle.“
„Wenn
es Ihnen leid tut, dann befreien Sie mich.“
„Nein,
das geht nicht.“ Ein seltsames Licht glühte in seinen dunklen Augen.
„Was
geht hier vor? Was wissen Sie?“
„Ich
kann es Ihnen nicht sagen.“ Er kam auf sie zu und stutzte. Vom Höhleneingang
her war ein Geräusch zu vernehmen - Schritte.
Eine
dunkle Gestalt, die wie eine Silhouette gegen das schummrige Licht der einsamen
Fackel stand, kam heran.
„Was
ist los, Baio?“ fragte der Ankömmling.
„Ich
habe ihr etwas zu trinken gegeben, sie hatte Durst.“
Der
andere stand jetzt so dicht, daß Morna sein Gesicht sehen konnte. Den Mann
kannte sie ebenfalls. Das war Kuamo, der Sohn der Alten mit dem Bauchladen.
Er
trug etwas auf seinen Unterarmen. Eine Taucherbrille, Schnorchel,
Schwimmflossen. „In einer Stunde etwa kommen die anderen, Baio. Du bringst sie
dann hinüber - wie abgesprochen.“
„Ja.“
Kuamo
verließ die Höhle und tauchte in der Dunkelheit unter.
„Was
ist in einer Stunde?“ fragte die Schwedin leise.
„Dann
muß ich Sie auf das Atoll bringen, Mademoiselle.“
„Auf
welches Atoll?“
„Es
hat keinen Namen. Es heißt einfach Atoll.“
„Was
soll ich dort?“
„Sie
stellen zu viele Fragen, Mademoiselle. Es ist nicht gut.“
„Ich
glaube, ich habe das Recht zu erfahren, was man mit mir vorhat. Ihr habt auch
Doreen Haskins und die anderen auf das Atoll gebracht, nicht wahr?“
„Ja.“
„Was
geschieht dort mit ihnen?“
„Sie
werden abgeholt.“
„Von
diesen grünen Wesen aus dem Meer?“
„Ja.
Aber woher wissen Sie…?“
„Ich
habe letzte Nacht gesehen, was mit der Leiche passiert ist, die aus der
Krankenstation gestohlen wurde.“
„Auch
die kommt wieder zurück.“
„Wohin
zurück?“ Morna Ulbrandson machte es psychologisch richtig. Sie durfte den Faden
nicht verlieren. Solange sie den jungen Burschen zu diesem Dialog zwang, hatte
sie Hoffnung, daß sie das Blatt doch noch wenden konnte.
„Auf
das Atoll.“
„Kam
er von dort?“ Baio zuckte die Achseln. „Weiß nicht. Aber daß sie ihn holen
wollten, zeigt, daß sie ihn brauchen.“
Die
Schwedin leckte sich mit der Zungenspitze über die Lippen. „Das heißt, ihr seid mehrere, viele, wenn ihr es riskiert, die Leiche nochmals
zu holen. Aber soviel mir bekannt ist, sollte Andreas Meister heute im Laufe
des Tages abgeholt werden.“
„Er
ist nicht abgeholt worden.“ Morna glaubte nicht richtig gehört zu haben. „Wieso
nicht?“
„Es
wurde verhindert. Der Ortspolizist hat dafür gesorgt.“
Hat
dafür gesorgt! Wie sich das anhörte!
„Dann
weiß er wohl auch, daß ich mich jetzt in dieser Lage befinde, daß Sie und Ihre
Freunde mich entführt haben?“
„Ja.“
Nun tat er doch das, was Morna eigentlich durch ihre ständige
Gesprächsbereitschaft
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