1066 - Gesils Punkt
erstickt, oder verhungert sein ... irgendwie erinnerte die Gestalt Melborn an eine Gliederpuppe, oder an einen gefüllten Sack. Er schämte sich dieses pietätlosen Vergleichs, aber ein besserer fiel ihm nicht ein.
Er spürte, wie Bescam ihn anschubste, und schritt automatisch näher. Bescam folgte in seinem Rücken.
„Ein Ritualmord", flüsterte er dabei kaum hörbar.
Melborn hielt plötzlich inne. Irgend etwas stimmte nicht. Für einen Moment hatte es ausgesehen, als blicke ihn über den Rand der Klarsichtfront des Helmes ein Auge an.
Aber - das war unmöglich! „Warum gehst du nicht weiter?" fragte Bescam.
„Ich glaube ...", begann Melborn und mußte sich die Lippen befeuchten. „Ich glaube, der Tote ist noch nicht verwest. Er ist so gut erhalten, als würde er noch leben."
„Jetzt redest du Unsinn", sagte Bescam mit zitternder Stimme. „Wie sollte sich eine Leiche in einem Raumanzug über eine solche Zeitspanne konservieren können?"
Von Melborn fiel augenblicklich alle Spannung ab, als er des Rätsels Lösung entdeckte. Er mußte einfach lachen, obwohl es nichts zu lachen gab.
Er war mit zwei Schritten bei der Gestalt im Raumanzug, die ihm schon von Anfang an seltsam vorgekommen war, und lehnte sich, vor Erleichterung immer noch lachend, dagegen. Der Raumanzug kippte zur Seite - und nun konnte auch Bescam sehen, daß hinter der Klarsichtscheibe nicht das mumifizierte Gesicht eines Toten war, sondern ein ...
„Ein Foto!" rief Bescam aus. „Und dahinter - positronische Bausteine. Bestandteile irgendwelcher positronischer Geräte."
„Der ganze Raumanzug ist damit gefüllt", sagte Melborn glucksend. „Irgend jemand hat diese Schätze hier gehortet, aus welchen Motiven auch immer. Und wir sind auf diese Puppe hereingefallen."
„Darüber kannst du lachen?" wunderte sich Bescam.
„Entschuldige, aber mir war einfach danach", sagte Melborn und wurde wieder ernst.
Er sah auf das Foto, das lebensgroß und in verblichenen Farben den Kopf eines Mannes zeigte. Vermutlich war es einmal sogar dreidimensional gewesen, aber dieser Effekt war erloschen. Er fügte versonnen hinzu: „Was für ein faszinierendes Gesicht. Ich möchte wissen, wer dieser Mann gewesen ist."
Bescam hatte inzwischen den Raumanzug geöffnet. Eine Fülle von technischen Bausteinen war ihm förmlich entgegengestürzt, und er wühlte darin wie ein Kind in Spielklötzen.
„Sieh mal!" rief er ausgelassen. „Da sind sogar Bild-Tonbänder - und alle Bestandteile eines Abspielgeräts. Und wenn ich mich nicht täusche, auch ein kompletter Sender - zerlegt. Waffen! Ich werde versuchen, die Geräte zusammenzubauen ..."
„Nicht jetzt!" unterbrach Melborn ihn. „Ich glaube, wir haben uns etwas Abwechslung verdient. Du kannst das Gerumpel haben, wenn du mir das Foto überläßt."
Sie einigten sich, in der Techniker-Messe ein ausgiebiges Mahl zu sich zu nehmen und ein wenig zu feiern.
Nachdem sie das Versteck in die unbekannte Sektion verlassen hatten, glaubte Melborn einen dunklen, langgestreckten Schatten aus einem Querkorridor schießen zu sehen, der gleich darauf wieder im gegenüberliegenden Seitengang verschwand.
„Wenn ich es nicht besser wüßte, wurde ich schwören, soeben Kater gesehen zu haben", sagte er ungläubig.
Er hatte kaum ausgesprochen, als eine menschliche Gestalt auftauchte, die denselben Weg nahm.
„Das muß Geston gewesen sein", sagte Bescam verblüfft. „Aber was treibt ihn so weit fort von seinem Lebensbereich? Betschiden wagen sich doch keinen Schritt aus bekanntem Gebiet."
„Es muß so sein, daß Kater ihm entwischt ist", sagte Melborn. „Komm!"
Sie liefen in die Richtung, in der sie die beiden Gestalten gesehen hatten. Aber als sie den Querkorridor erreichten, fehlte von beiden jede Spur. Sie verzichteten auf eine Verfolgung.
„Zum Glück ist Kater zahm und ungefährlich", stellte Bescam fest.
Wenig später hatten sie den Vorfall vergessen.
Melborn schob sich das Bildnis des unbekannten Mannes aus längst vergangenen Zeiten unter die Kombination, und dann machten sie sich vergnügt auf den Weg in die Techniker-Messe.
Sie merkten erst, daß sie einen Umweg gemacht hatten, als sie die Vision von schwarzen Flammen hatten.
Melborn verhielt den Schritt.
„Mir geht es nicht anders als dir", redete Bescam ihm zu und zog ihn mit sich. „Versuchen wir diesmal nicht an Gesil zu denken. Vergessen wir sie dieses eine Mal."
Melborn nickte abwesend. Er sagte dem Freund nicht, was er empfand, daß er das
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