1066 - Gesils Punkt
Geste, die die gesamte Kabine einschloß.
„Aber alles spricht dafür, daß hier ein Kampf stattgefunden hat", hielt er ihr vor. „Die Tür wurde gewaltsam von innen aufgebrochen, du weist an Händen und im Gesicht Verletzungen auf, als hättest du mit einem wilden Tier gekämpft. Und du sagst, es sei nichts gewesen."
„Das mag sein - ein wildes Tier", murmelte Gesil nachdenklich. Danach schwieg sie wieder und starrte vor sich hin. Plötzlich hob sie den Kopf und sah Atlan wieder ängstlich an. Der Blick ihrer Augen war zwingend, eine Kraft loderte für einen Moment darin auf, die Atlan Schwindel verursachte. War das mit Melborn passiert?
Ausgerechnet mit Melborn, der fast noch ein Kind war!
„Ich weiß nicht, was genau passierte, was wirklich geschah", sagte Gesil verzweifelt und ergriff Atlans Hände. „Du mußt es mir glauben. Ich weiß nur, daß etwas im Werden begriffen ist. Und es wird stärker und hat mich erfaßt..." Sie machte eine Pause, und Atlan spannte sich an, denn er wußte, daß sie etwas Bedeutungsvolles zu sagen hatte.
Sie ließ sich Zeit, bevor sie bedächtig fortfuhr: „Es gilt, etwas zu verhindern und etwas anderes zu fördern. Vielleicht ist es noch möglich, eine negative Entwicklung umzukehren und eine Synthese zwischen zwei entgegenwirkenden Strömungen herzustellen ..."
Atlan war sich klar, daß Gesil versuchte, ihm eine wichtige Botschaft zukommen zu lassen, doch bemühte er sich vergeblich, sie zu verstehen.
„Wovon sprichst du?" fragte er.
„Wie soll ich dir das erklären?" meinte sie. „Dein Unverständnis zeigt mir, daß dir die Grundvoraussetzungen für ein Begreifen dieses Komplexes fehlen. Du hast keinen Zugang zu dieser Materie."
Atlan verspürte eine wachsende Erregung. Er hatte das sichere Gefühl, daß jedes Wort, das Gesil sprach, von großer Wichtigkeit war, daß jedes der Schlüssel zu ihrem Geheimnis sein konnte. Er brauchte nur noch den Kode herauszufinden. Und um diesen zu finden, mußte er sie zum Weitersprechen animieren.
„Ich besitze die Voraussetzung, um diese Dinge mit dir zu erörtern", behauptete er und beschloß ihr die kosmischen Zusammenhängen anzuvertrauen, soweit er selbst unterrichtet war. Er erzählte ihr von dem Konflikt der beiden Superintelligenzen Seth-Apophis und ES, und daß er es gewesen war, der im Auftrag der Kosmokraten im Limbus zwischen den beiden Mächtigkeitsballungen als Orakel von Krandhor ein Sternenreich aufgebaut hatte, nur zu dem Zweck, um Übergriffe von Seth-Apophis zu verhindern. Er schloß: „Du siehst, mein Wissen bietet eine gesunde Basis, um Geschehnisse in einem großen kosmischen Rahmen beurteilen zu können. Die Materie ist mir bekannt. Du kannst dich mir anvertrauen."
Sie hatte ihm schweigend zugehört, ohne jedoch anzuzeigen, daß sie ihm wirklich zuhörte. Sie wirkte abwesend, auch jetzt, als sie sagte: „Das habe ich gehofft. Ich glaubte, du könntest mir helfen."
„Das kann ich bestimmt, wenn du den Schleier deiner Identität lüftest", ereiferte sich Atlan. „Welche Aufgabe versahst du auf Spoodie-Schlacke? Wer sind deine Auftraggeber? Woher kommst du?"
Gesil seufzte.
„Ich habe dir alles gesagt. Ich komme von Varnhagher-Ghynnst - wo du mich gefunden hast."
Gesils verzweifelte Enttäuschung übertrug sich augenblicklich auf ihn. Er wußte, daß er von ihr nichts mehr erfahren würde, das die Zusammenhänge erhellte. Das Gespräch war wieder zum Anfangspunkt zurückgekehrt und wurde sich im Kreis bewegen.
Einem plötzlichen Impuls folgend, nahm er ihr Gesicht in beide Hände.
„Gesil!"
Aber da war keine Reaktion, er hätte genauso eine Plastikpuppe berühren können. Sie war geistig abwesend, hatte ihre Gefühlswelt abgekapselt und eine leere Hülle zurückgelassen.
Atlan war verzweifelt.
„Warum nur sperrst du dich so und verweigerst die Antwort auf einfachste Fragen."
„Die Fragen, auf die es ankommt, hätte ich gerne von dir beantwortet bekommen", sagte sie. Plötzlich war ihre Melancholie wie weggeblasen. Sie lächelte, aber das Lächeln war eine von den einstudierten Grimassen. Unter der Maske blieb Gesil sie selbst, das verlorene Geschöpf voller Weisheit und Zweifel. Und sie fügte hinzu: „Du hast mich Interkosmo gelehrt, aber noch sprechen wir nicht dieselbe Sprache. Hab Geduld."
Atlan erhob sich abrupt und wandte sich ab. Er war wütend, daß Gesil nur in Gemeinplätzen sprach, und er ärgerte sich über sich, daß er in diesen Banalitäten wichtige Botschaften vermutete,
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