1074 - Das Templerkreuz
einer Untertasse stand, riß ein Streichholz an und berührte mit der Flamme den Docht, der sofort Nahrung erhielt. Das Licht tanzte. Es gab Helligkeit und Schatten. Letzte bewegten sich huschend über die Schreibtischplatte hinweg, kamen aber schließlich zur Ruhe, als auch die Flamme nicht mehr tanzte.
Bloch schaute von oben darauf. Ein rötlicher Schein fuhr über sein Gesicht hinweg. In den Pupillen funkelten ebenfalls kleine Blitze. Die Augen sahen trotzdem nachdenklich aus, denn es gab etwas, das den Anführer der Templer beunruhigte.
Er konnte nicht genau sagen, was es war. Tief in seinem Innern und auch nicht faßbar lag dieser Druck, dem er nur mühsam etwas entgegenzusetzen hatte. In seinem Hinterkopf breitete sich der Druck besonders aus, die leichten Schmerzen irritierten ihn, aber sie waren auch gleichzeitig so etwas wie ein Druck, der ihn zu einer bestimmten Tat trieb.
Er bewegte seinen Körper nach rechts. Die Hand glitt über das Holz des alten Schreibtisches hinweg und fand den Griff der unteren Schublade, die er nach vorn zog.
Es war kein moderner Schreibtisch, an dem der Abbé saß. Er hätte auch in ein Museum gepaßt, doch Bloch würde sich hüten, das Möbel abzugeben. Es war ein Teil von ihm, und in diesem Schreibtisch bewahrte er auch seinen größten Schatz auf.
Den holte er jetzt hervor.
Behutsam legte er ihn auf die Platte. Es war ein dunkler Würfel. Nicht schwarz oder tiefblau, wie es im ersten Moment den Anschein hatte, sondern violett. Mit abgerundeten Kanten, aber ohne Zahlen auf den Seiten.
Ungemein wichtig für ihn. Er lächelte, als er den Würfel in den Schein der Kerze schob. Das Licht floß über ihn hinweg, machte ihn allerdings nicht viel heller oder sorgte dafür, daß er sich deutlicher vom Untergrund abhob. Vielmehr schien es, als wäre der Würfel damit beschäftigt, einen Teil des Lichts aufzusaugen.
Ein schlichter und dennoch geheimnisvoller Gegenstand. Ebenso wie der zweite in Blochs Büro: der Sessel. Er stand am Fenster. Seine Lehne schloß quasi mit der Fensterbank ab.
Dieser Sessel hatte eine lange Reise durch die Jahrhunderte hinter sich, bevor er in diesem Refugium seinen endgültigen Platz gefunden hatte. Er war etwas Besonderes. Er bestand aus Knochen. Ein Knochensessel mit einem Schädel versehen, der von der Rückenlehne aufragte. Der Sessel bestand aus den Gebeinen des letzten Templer-Führers Jacques de Molay, und der Abbé hatte es einem gewissen Bill Conolly zu verdanken, daß der Sessel überhaupt in seinem Arbeitszimmer stand. Denn Bill und seine Frau hatten ihn damals in New York unter spektakulären Umständen erworben.
Er war nicht groß. Eher klein, aber er hielt das Gewicht eines Menschen aus, der sich darauf setzte.
Und er war zugleich so etwas wie ein Tor zur geheimnisvollen Nebelinsel Avalon. Andere Kräfte schlummerten ebenfalls in ihm. Die allerdings waren gefährlich, und auch nicht jeder durfte auf dem Sessel Platz nehmen.
Für einen bestimmten Menschen war er praktisch immer reserviert. Für Blochs englischen Freund John Sinclair. Der Abbé hatte plötzlich den Eindruck daß er John Sinclair bald eine Nachricht zukommen lassen würde. Sie hatten seit Monaten nichts mehr voneinander gehört. Nun aber war der Druck in ihm, der sich schon beinahe zu einem mächtigen Wissen vereinigte. Seine Gedanken drehten sich plötzlich um den Geisterjäger. Es war schlagartig gekommen, aber es verschwand auch wieder, als Bloch seine Hände auf den Würfel legte und ihn dabei sacht umfing.
Er streichelte ihn. Er spürte die Wärme, die in seinem Innern steckte und sich auf seine Hände übertrug. Rein äußerlich war der Würfel ein toter Gegenstand, doch in seinem Innern befand sich eine kaum meßbare Kraft. Nicht umsonst wurde er »Würfel des Heils« genannt. Von ihm gab es noch ein Gegenstück. Das allerdings befand sich in der Hand eines Dämons, der auf den Namen Spuk hörte.
Der Spuk hatte den »Würfel des Unheils«. Beide waren identisch. Und beide neutralisierten sich.
Zumindest konnte der Würfel des Unheils nicht so sein Grauen verteilen, wie er eigentlich in der Lage gewesen wäre.
Wichtig war der Würfel, der vor dem Abbé lag. Seine Hände streichelten ihn. Sie spielten damit. Sie rutschten an den Seiten entlang, und Bloch, der die Augen geschlossen hielt, merkte, daß sich etwas tat.
Der Würfel wollte mit ihm »reden«.
Es gehörte zu seinen Eigenschaften, mit den Menschen kommunizieren zu können. Er konnte Botschaften
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