1080 - Hexenwald
tatsächlich Stimmen gehört.
Nicht die irgendwelcher Personen, sondern die Stimmen einer Frau und eines Mannes, die er verdammt gut kannte…
***
»Ja, das stimmt!« sagte eine Frauenstimme, der ein scharfes Lachen folgte. »Wenn du dich falsch bewegst, schieße ich ihr eine Kugel in den Kopf. Dann vermischt sich das rote Blut mit ihren roten Haaren. Der Anblick würde mich reizen.«
Ich hatte die Person aussprechen lassen und war selbst stumm geblieben. Ich wollte sie sehen, was nicht einfach war, denn die Bäume spendeten Schatten, und den hatte sie geschickt genutzt. Zudem entdeckte ich noch etwas, das sich dunkel vom ebenfalls dunklen Boden abzeichnete. Es sah aus wie ein Mensch, es war auch ein Mensch, aber er hatte sich verändert. Das Gesicht war zu sehen, weil es bleicher aussah, doch mit dem Körper mußte was anderes geschehen sein. Er befand sich in einem bestimmten Stadium der Zersetzung oder Veränderung. Was da genau passiert war, konnte ich leider nicht erkennen.
Die Hexe oder wer immer sie war, hatte sich einen guten Platz ausgesucht. Sie stand neben einem Baumstamm, aber sie bewegte sich jetzt von ihm weg, weil sie den Winkel verändern wollte. Ich konnte sie besser erkennen, im Gegensatz zu Dagmar. Sie sah von der Hexe überhaupt nichts, weil diese sich hinter ihrem Rücken aufhielt.
Beim ersten Hinsehen war sie nackt!
Ich traute meinen Augen nicht. Eine nackte Person mit einem wirklich tollen Körper und langen dunklen Haaren beherrschte dieses Waldstück. Sie war sich ihrer Stärke sehr bewußt. Wenn mich nicht alles täuschte, lächelte sie sogar. Mit der Waffe bedrohte sie weiterhin Dagmar Hansen, aber sie stand so, daß sie auch mich anschauen konnte.
Ich versuchte, die Situation zu entkrampfen. Bevor sie auf Ideen kam, die mir nicht gefallen konnten, fragte ich sie: »Wer bist du?«
»Ich herrsche hier!« In dieser Antwort hatte Stolz mitgeklungen.
»Anena?«
»Gut.«
»Wir haben dich gesucht.«
»Und warum?«
»Weil wir etwas von dir wollen. Du hast einen Besucher. Es ist unser Freund Harry Stahl.«
»Ja, wo ist er?« fragte auch Dagmar.
Da kreischte Anena auf. Ob vor Wut oder Freude wußten wir nicht. Leider veränderte sich auch nichts an der Situation, und das Kreischen brach auch sehr schnell ab. »Ich hatte ihn nicht eingeladen. Er war hier, und er wird auch für immer hier bleiben. Ich habe dafür gesorgt, daß er zu einem Teil des Waldes geworden ist.«
»Dann lebt er nicht mehr?« flüsterte Dagmar.
»Das weiß ich nicht…«
»Aber der Schuß…«
»Ich mußte es tun. Er wollte sich tatsächlich wehren. Das ist ihm nicht bekommen. Ich habe ihm eine Kugel ins Bein geschossen und ihn dann einem anderen überlassen.«
»Wem?«
»Hört auf zu fragen. Ihr kennt ihn nicht. Er ist mächtiger und größer als ich…«
»Noch stärker?« fragte ich und gab mich erstaunt. »Ich habe immer gedacht, daß dir dieser Wald gehört, denn die Menschen sprechen nur mit Hochachtung und Angst von dir.«
»Das sollen sie auch.«
»Sie sehen dich sogar als Hexe an«, sprach ich weiter.
»Ja, das bin ich auch.«
»Und du lebst lange hier?«
»Nein oder ja…«
»Was denn?«
»Jahre schon.«
»Aber nicht Jahrhunderte.«
»Nein. Ich habe den Weg gefunden. Ich habe das normale Leben verlassen, um ihm zu dienen. Einem Mächtigen, dem die Natur gehört. Der sie vor den Menschen beschützen will. Der es nicht mag, wenn Eindringlinge in sein Reich kommen. Der sich hier und überall auf der Welt etwas Wunderbares geschaffen hat. Das alles habe ich herausgefunden, und er hat mich als Helferin angenommen. Ich lebe so wie er. Wie die Pflanzen und wie die Bäume, denn auch wir Menschen sind ein Teil dieser Natur. Wir gehören zu ihr. All das, was du und die Frau dort Zivilisation nennt, ist Mist. Es stimmt nicht. Es ist einfach verlogen. Hier spielt sich das wahre Leben ab, und jeder Störenfried wird beseitigt.«
»Das heißt, du tötest ihn?«
»Nein, nicht ich. Ich führe ihn nur auf einen bestimmten Weg. Alles andere erledigt die Natur. Es mag sein, daß es einmal eine richtige Hexe hier gegeben hat. Ich übernahm sogar den Namen, aber ich bin es nicht. Ich kenne den Teufel nicht, dafür jedoch den großen…«
»Mandragoro«, sagte ich.
»Ja. Du kennst ihn?«
»Sicher.«
»Woher?«
»Ich lebe zwar nicht so wie du, aber ich hatte schon Kontakt mit ihm«, erklärte ich lächelnd.
Anena war durcheinander. Sie wußte nicht, wie sie mich einschätzen sollte. Ihr fehlten die
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