1092 - Der Vampirengel
abgerutscht. Ich hatte keinen Kontakt mehr zu dem, aus dem ich herstamme. Die Welt der Vergangenheit hat mich leider verlassen. Ich bin keine echte Psychonautin mehr, und auch kein echter Vampir. Ich lebte als schwacher Zwitter.«
Dagmar schüttelte den Kopf. Sie wollte es nicht wahrhaben, daß sich jemand so schnell verändern konnte. Auch Harry war irritiert und wunderte sich, als Dagmar ihn bat, den Pullover in die Höhe zu ziehen.
»Warum?«
»Bitte, mach es.«
Es war Harry nicht angenehm, aber selbst Angela hatte nichts dagegen. Sie reckte sogar die gefesselten Hände so weit nach oben wir möglich. Dann drehte sie sich zur Seite, damit beide auch auf ihren Rücken schauen konnten.
Sie sahen einen normalen Körper, aber keine Flügel, die aus ihm wuchsen.
»Himmel, sie hat recht!« flüsterte Dagmar. »Sie hat wirklich recht damit. Das Zeichen des Pegasus ist verschwunden.«
Harry ließ den Stoff wieder fallen. »Und was ist mit dir?« wandte er sich an Dagmar.
»Wie meinst du das?«
Er sah aus, als müßte er sich die Worte erst noch überlegen. Dann flüsterte er: »Ich habe diese Flügel an dir noch nicht gesehen, und du bist eine Psychonautin.«
»Ja, aber ich bin noch nie in die Verlegenheit geraten. Vielleicht wollte ich es auch nicht.« Ihr Blick nahm einen schon verlorenen Ausdruck an. »Manchmal ist es gut, wenn man nicht alles weiß. Irgendwie soll der Mensch noch Mensch bleiben.« Sie schaute auf die vorbeifahrenden Wagen. Der Verkehr hatte unmerklich zugenommen. Nicht wenige Menschen befanden sich bereits auf dem Weg zur Frühschicht. »Stell dir vor, Harry, es gäbe keine Geheimnisse mehr. Jeder, der hier vorbeifährt, wäre über die Funktion der Welt ganz genau informiert. Ich kann nicht glauben, daß es gut sein wird. Nein, man muß auch noch Geheimnisse lassen, und so ist es nicht gut, wenn die Menschen alles wissen. Da schließe ich die Psychonauten sogar mit ein, Harry.«
»Wenn du es so siehst, hast du recht. Aber bist du niemals in den Bereich des Pegasus hineingeraten? Haben sich für dich die Türen nicht einmal geöffnet, um zumindest einen kleinen Blick in die Vergangenheit riskieren zu können?«
»Nein, niemals. Und ich weiß auch nicht, ob ich das gewollt hätte, Harry.«
Er lächelte ihr zu. »Ich kann dich sogar verstehen. Alles im Leben kann mißbraucht werden. Dafür ist Angela das beste Beispiel, denn ihr hat sich eine falsche Welt eröffnet und läßt sie nicht mehr los. Sie ist keine Psychonautin, und sie ist kein Vampir. Sie lebt auf der Schwelle zwischen zwei Welten. Irgendwann wird sie sich entscheiden müssen.«
»Falls sie es kann.«
»Man wird sie zwingen, Dagmar. Oder man wird dafür sorgen, daß sie sich allein oder nur auf sanften Druck hin entscheidet. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie innerhalb von zwei Welten existieren kann.«
»Gut, Harry, das können wir beenden. Was ist jetzt wichtig für uns?«
»London!«
»Genau.«
»Wir werden so schnell wie möglich fliegen, und es muß auch John informiert werden.«
»Was willst du ihm sagen?«
»Das wird sich ergeben.«
Dagmar Hansen beugte sich noch weiter vor und zeigte plötzlich ein breites Lächeln. »Ich an deiner Stelle würde nichts tun, Harry. Ich würde ihn nicht informieren, denn noch sind alles nur Vermutungen. Auch was dieses Fest angeht, der neue Kult.«
»Moment mal, Dagmar, willst du nicht hin?«
»Das habe ich damit nicht gesagt. Wir werden dort sein, aber wir könnten John doch überraschen.«
Er zuckte mit den Schultern. »Nun ja, ich weiß nicht, ob das so optimal ist.«
»Ein Versuch schadet nichts.«
»Okay, du hast mal wieder gewonnen. Aber unsere Freundin werden wir nicht aus den Augen lassen…«
»Das versteht sich.«
Angela saß neben Harry und wirkte apathisch. Tief in sich selbst versunken. Wie eine Kreatur, die aufgegeben hatte. Daran wollten beide nicht so recht glauben, denn einer wie Dracula II, dieser mörderische Blutsauger im Hintergrund, gab nicht so leicht auf. Und der neue Vampirkult kam ihm wie gerufen…
***
Angela - ein Name, der uns nicht aus dem Kopf wollte. Per Internet hatte Shao noch versucht, mehr über diese Person zu erfahren, es war nicht möglich gewesen.
Eine Frau als Nachfolgerin für Logan Costello. Das war für uns unvorstellbar, und wir diskutierten in kleiner Runde darüber. Auch Glenda Perkins und Sir James hatten sich in unserem Büro eingefunden. Wir wollten gern ihre Meinung hören.
Wir alle erinnerten uns noch stark an
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