1094 - Der Aibon-Drache
ein Feind, der immer mehr wuchs.
Dann hörte sie das Kratzen und auch Knirschen. Ein leises Geräusch zuerst. Es hörte sich auch nicht schlimm an, war aber für Chris in dieser Lage alarmierend. Niemand außer ihr befand sich im Zimmer. Trotzdem dachte sie sofort an den verdammten Drachen, weil es einfach keine andere Möglichkeit gab.
Sie hielt den Atem an.
Das Blut schien in ihrem Kopf zu rauschen. Sie glaubte, jeden Herzschlag deutlich zu spüren. Wenn sie durch die Scheibe schaute, schien sich die dunkle Landschaft zu bewegen wie ein Wellenmeer, das nicht zur Ruhe kommen wollte.
Nein, das konnte er nicht sein. Sie hatte die Tür geschlossen. Wie hätte der Drache in ihr Zimmer kommen sollen? So etwas war unmöglich. Sie hätte gehört, wenn er versucht hätte, sich durch das Material der Tür zu fressen.
Das Geräusch erklang erneut.
Wieder zuckte ein Adrenalinstoß durch ihren Körper. Schweiß bedeckte plötzlich ihr Gesicht. Sie schloß für einen Moment die Augen, weil sie sich weit weg wünschte.
Etwas knirschte wieder.
Chris hatte aufgepaßt. Es war nicht einmal weit von ihr entfernt aufgeklungen. Recht nahe, aber weiter links. Auch in Höhe der Scheibe.
Sehr behutsam drehte sie den Kopf. Die Bewegung war von heftigen Atemstößen begleitet. Noch immer wollte ihr nicht in den Kopf, daß dieser Fremdling im Zimmer steckte, hier herumkroch, nahe des Fensters, und sich ihr immer mehr näherte.
Auf dem Boden sah sie nichts.
Dafür an der Scheibe!
Chris Talbot glaubte, einen Traum zu erleben. Sie hatte das Gefühl, eine andere geworden zu sein. Sie schwankte, denn es war unmöglich, was sie da zu sehen bekam. Mit einer Hand stützte sie sich gegen das Glas und schielte dabei nach links.
Da war es.
Außen bewegte er sich über die Scheibe hinweg. Es war gewachsen, das sah Chris sofort. Sie erkannte den Buckel überdeutlich, aber sie sah auch, daß sich die Krallen ebenfalls vergrößert hatten. Mit den Füßen klammerte es sich fest, und auch die Hände griffen nach.
Sie strichen über das Glas hinweg, was sicherlich schmierig war, aber nichts von ihm rutschte ab. Waren die Pranken zu Saugnäpfen geworden? Es mußte so sein, sonst hätte es sich nicht halten können.
Chris hielt den Atem an. Sie war nicht in der Lage, etwas zu sagen.
Die Furcht hatte sie überschwemmt, und wieder klopfte das Herz stärker als gewöhnlich.
Das Drachentief befand sich in Augenhöhe, und es kroch weiter.
Tappend, Stück für Stück bewegte es sich auf die Beobachterin zu.
Sie hörte das Kratzen auf der Außenseite der Scheibe und fürchtete, daß das Glas brechen konnte. Sie hatte das leise Knirschen vernommen. Möglicherweise war das Glas schon gesprungen.
Sie zitterte. Sie riß sich zusammen. Trotzdem verstärkte sich ihre Angst. Das schreckliche Maul war ihr zugerichtet. Es stand weit offen, und sie glaubte, dünnen Rauch aus dem Rachen dringen zu sehen. Sie sah die hellen Zähne, die roten Augen und hatte sogar das Gefühl, angegrinst zu werden.
Wäre John Sinclair bei ihr gewesen, wäre es ihr besser ergangen, trotz dieser verdammten Gestalt. Aber er war nicht da. Er lief im Haus herum, er suchte den Drachen und ahnte nicht, daß er sich ganz woanders befand.
Sie trat von der Scheibe zurück.
Zugleich bewegte das Tier seine Krallen. Sehr deutlich war es auch für Chris zu sehen, weil die böse Gestalt mittlerweile näher gekommen war.
Die Krallen kratzten am Material entlang. Das leise Knirschen steigerte ihre Angstgefühle noch mehr. Sie rechnete damit, daß die Scheibe nicht mehr halten würde. Was würde dann passieren? Würde die gesamte Front auf sie einstürzen, und würden sie die Scherben begraben?
Die Scheibe bestand nicht aus einem Guß, auch wenn sie so aussah. Sie setzte sich aus verschiedenen Einzelstücken zusammen. Das sah nur der, der genau hinschaute.
Wieder knirschte etwas.
Diesmal lauter, und plötzlich entstanden Sprünge in der Scheibe.
Die Spannung war dahin, der Bruch war vorprogrammiert. Es konnte sich nur noch um Sekunden handeln, dann würde das Glas brechen und Scherben in das Zimmer fallen.
Der Drache klammerte sich fest. Mit seinen Pfoten, mit seinen Krallen. Er hatte sein Maul gegen das Glas gedrückt und leckte mit der Zunge darüber hinweg. An ihr klebte eine dicke Feuchtigkeit.
Schleim, der wie heller Sirup am Glas entlang nach unten rann und aussah wie ein schmales Rinnsal.
Bisher hatte sich Chris so gut wie nicht bewegen können. Aber sie hatte es verstanden,
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