1094 - Der Aibon-Drache
draußen vor dem Fenster gesehen. Er sah schrecklich aus. Er ist auch noch gewachsen, und er hat sich an der Scheibe festgeklammert.«
»Die nicht brach – oder?«
»Nein, das nicht. Aber ich habe sie knirschen gehört und hatte Angst, daß sie brechen würde.«
»War der Drache noch da, als du das Zimmer verlassen hast?«
»Kann sein.«
»Okay, ich schaue ihn mir an.« Ich drehte mich, um zu gehen, aber Chris hielt mich fest. »Nein, John, tu das bitte nicht. Nicht allein, nimm mich mit.«
»Gut, aber bleib hinter mir.«
»Alles klar.« Sie versuchte zu lächeln. Es wurde mehr eine Grimasse. »Entschuldige, daß ich so hysterisch reagiert habe, aber es war ein Schock, als ich plötzlich das Monster draußen an der Scheibe sah. Es konnte sich sogar daran festsaugen. Wie eine Krake…«
»Es mutiert«, sagte ich.
»Wie?«
»Es verändert sich, Chris.«
»Du meinst, daß es noch weiter wächst?« In der Frage schwang die Furcht mit.
»Wir müssen damit rechnen.«
»O Gott, das ist ein Alptraum, der nicht aufhört. Kannst du dir denn vorstellen, wie groß der Drache wird?«
»Das kann ich leider nicht.« Ich blieb stehen. »Wir sollten uns auch nichts vormachen, Chris. Das jetzt noch recht kleine Ding kann zu einem gewaltigen Monstrum wachsen. Über die Größe möchte ich nicht spekulieren, aber wir sollten uns auf etwas gefaßt machen.«
»O Himmel, wie Godzilla.«
»So groß sicherlich nicht, aber das andere reicht auch.« Ich legte einen Finger auf die Lippen und blieb neben der Tür zum Arbeitszimmer stehen.
Chris Talbot folgte meinem Rat und war still geworden. Wir lauschten nach fremden Geräuschen. Wenn der Drache tatsächlich außen an der Scheibe entlanggekrochen war, dann hätte das Glas an verschiedenen Stellen zerbrochen sein müssen. Die gesamte Scheibe war wohl nicht zerstört worden. So etwas hätte ich gehört.
Chris schaut aus schmalen Augen zu, wie ich meine Waffe hervorholte. Sie behielt einen Kommentar für sich und wartete zunächst einmal ab.
Ob eine geweihte Silberkugel gegen das kleine Untier etwas ausrichtete, war fraglich. Zumindest versuchen konnte ich es, wenn ich denn auch ein Ziel fand.
Mit einem schnellen Schritt trat ich über die Schwelle. Durch das große Fenster war es im Arbeitszimmer nicht so dunkel. Zudem kannte ich mich in diesem Raum am besten aus.
Der erste Blick galt dem Fenster.
Nein, dort war nichts zu sehen. Kein Drache klammerte sich mit seinen Saugnäpfen an der Scheibe fest, aber Chris hatte auch nicht gelogen, denn die Scheibe bildete keine Einheit mehr. An der linken Seite zeigte sie einige Sprünge, und ich ging mit kleinen Schritten in den großen Raum hinein. Jetzt riskierte ich es auch, die Lampe einzuschalten. Ich ließ den Strahl in einem großen Kreis wandern. Er huschte auch über das Fenster hinweg, strahlte dabei die gesamte Front von links nach rechts ab, aber ein Loch war nicht zu sehen.
Auf diesem Weg war der Drache nicht ins Haus gelangt, und deshalb ging ich davon aus, daß er sich noch im Freien aufhielt.
»Kann ich kommen, John?«
»Ja, du kannst.«
»Aber du siehst ihn nicht?«
»Nein.«
Chris Talbot betrat das Zimmer. Sie sah dabei sehr scheu aus und blickte sich auch ebenso um. Einen Drachen sahen wir beide nicht.
Weder am Fenster noch huschte er über den Boden hinweg. Ich glaubte auch nicht daran, daß er sich in irgendwelchen Lücken innerhalb der Regale versteckt hielt.
Ich sah ihren Schatten, der zur Ruhe gekommen war. »Wenn du mich jetzt für übergeschnappt hältst, John, kann ich dir das nicht einmal verübeln. Aber ich habe ihn gesehen. Da an der Scheibe.«
»Die Spuren sind ja da.«
»Danke, daß du mir glaubst.« Sie ging zum Tisch und trank ihr Glas leer. »Das habe ich jetzt einfach gebraucht.«
»Hast du keinen Whisky?«
»Doch.«
»Dann nimm davon einen Schluck.«
»Nein, nein, ich muß nüchtern bleiben. Ich will aus dieser Falle wieder raus.«
»Das verstehe ich.« Während unseres Gesprächs war ich durch das geräumige Arbeitszimmer gewandert.
Die Lampe leistete mir gute Dienste. Ich strahlte in die verschiedenen Ecken, ließ die Kegel über den Boden wandern, aber es gab niemanden, der sich außer uns dort bewegte.
Kein Drache mehr. Eigentlich hätte ich zufrieden sein können. Das war ich nicht. Ich würde es erst werden, wenn ich das kleine Monster tot vor meinen Füßen liegen sah.
Vor dem Fenster blieb ich stehen und untersuchte die Stelle der Scheibe, die am meisten gesprungen war.
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