1097 - Der Tod aus dem Tunnel
Das Licht hatte die Haut noch bleicher werden lassen, so daß die Kontraste stärker zum Vorschein kamen.
Dieses Monstrum hatte den Kopf vorgesteckt und bewegte ihn zuckend hin und her, wobei es schnüffelte wie ein Tier. Es strahlte eine Bösartigkeit aus, wie Karina sie noch bei keinem Vampir erlebt hatte. Der hier war ein Vampir. Sie erkannte es deutlich an den Zähnen, obwohl diese sich wiederum von denen der anderen Blutsauger unterschieden, die Karina in London erlebt hatte. Sie waren alle recht lang, so daß dieses Gebiß im Oberkiefer etwas Kammartiges hatte. Aber zwei Zähne stachen besonders hervor, und das gab dem Monstrum eben das vampirhafte Aussehen.
Es brauchte Blut. Es wollte Blut. Und in seiner unmittelbaren Nähe lag jemand, dessen Körper von diesem frischen Lebenssaft erfüllt war.
Genau in der Mitte des Lichtstrahls blieb dieser uralte Unhold stehen. Es zuckte nur die Haut in seinem Gesicht, die Hände - große Pranken blieben ruhig. Die Finger hatte der jetzt lebende Tod aus dem Tunnel nach unten gestreckt. Sie waren doppelt so breit wie die eines normalen Menschen.
Es witterte, schnupperte. Karina dachte an ihre Waffe. Sie war mit normalen Bleigeschossen gefüllt. Leider nicht mit denen aus geweihtem Silber wie bei John Sinclair.
Er stand noch immer und witterte. Sehr deutlich sah sie, wie sich seine nach außen gewölbten Nasenlöcher bewegten. Das war wie ein lautloses Schnüffeln.
Ruckartig drehte er den Kopf nach rechts.
Er sah sie!
Auch Karina schaute ihn an. Sie konnte den Blick nicht wenden. Dieser verdammte Anblick bannte sie. Er war so schrecklich, daß sie sich vorkam wie in einem Gefängnis. Obwohl sie regungslos dalag, schlug ihr Herz rasend schnell. Deshalb glaubte sie auch, daß jeder Schlag von dem alten Blutsauger gehört wurde, so daß er noch verrückter nach dem frischen Blut eines Menschen wurde.
Das Herz ist eine Pumpe, dachte Karina. Es pumpt das Blut durch meine Adern. Das ist der reine Wahnsinn. Er wird es hören. Er wird sich danach richten.
Der Vampir schnaufte.
Es konnte auch ein ähnliches Geräusch sein, doch sie empfand es als Schnaufen. Dann zog er die Schultern hoch, drehte sich, drückte den Kopf nach vorn - und ging einen Schritt auf die liegende Frau zu.
Karina Grischin war nie ängstlich gewesen. Das konnte sie sich einfach nicht leisten. Sie mußte immer kaltes Blut bewahren. In diesen schrecklichen Sekunden erlebte sie, was es heißt, Angst zu haben.
Trotzdem drehte sie nicht durch. Sie zog sogar die Beine an, um besser in die Höhe schnellen zu können.
Der Blutsauger streckte sich.
Noch einen Schritt weiter, dann konnte er zupacken. Dann war Karina verloren.
Doch sie hatte Glück.
Der Vampir kam nicht dazu, den letzten Schritt zu gehen. Plötzlich war der Stollen angefüllt vom Brausen der Mücken. Sie waren überall. Sie hatten die andere Hälfte des Stollens verlassen und waren wie eine gewaltige Wolke durch das Loch geströmt.
Sie wollten zu ihm. Sie wollten ihr Blutreservoir nicht hergeben. Der Kopf des uralten Vampirs sah plötzlich aus wie von einem zuckenden dunklen Helm umgeben. Sie blieben bei ihm. Sie klebten an ihm fest. Sie wollten ihn nicht loslassen, und Karina bekam die Chance, sich aufzurichten.
Plötzlich stand sie wieder auf ihren eigenen Beinen, ohne es richtig mitbekommen zu haben. Der Griff zur Waffe erfolgte automatisch. Die schwere Makarwe-Waffe wurde geschwenkt, und dann drückte sie ab.
Sie mußte es tun, und sie schrie dabei, als sie sah, daß die Kugel traf und die Gestalt erschütterte.
Er schwankte, aber er fiel nicht.
Das Monstrum ging zur Seite. Die Mücken tanzten um seinen Kopf. Aus ihrem Schwärm hervor wehte ein grauenvoller Laut, und einen Augenblick später wankte der alte Vampir weiter. Er hatte sich ein neues Ziel ausgesucht. Er wollte den Stollen verlassen, denn es gab ja noch den zweiten Ausgang, die offene Tür.
Schwankend ging er weiter, was Karina überraschte. Normalerweise gaben die Blutsauger so schnell nicht auf. Dieser hier war anders. Er wollte ihr Blut nicht.
Die Dunkelheit schluckte ihn. Seine Gestalt verschwamm darin, und Karina wollte noch einmal schießen. Sie zielte dabei auf den Rücken, aber die Wolke aus Mücken löste sich vom Schädel der Bestie und flog auf sie zu.
Sie sah die Biester zu spät. Erst als der Lichtstrahl sich verdunkelte, wurde ihr klar, in welcher Gefahr sie schwebte. Sie trug den Helm, doch das Netz war verrutscht, und einige dieser gefährlichen
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