1098 - Das brennende Gesicht
keinesfalls so. Ich bin Realist, auch wenn Sie vielleicht darüber lachen. Es wird mich erwischen. Ich bin in die Fänge des verdammten Fluchs hineingeraten.«
»Brauchen Sie Schutz?«
»Warum?«
»Mein Gott, welch eine Frage. Wer in einer derartigen Klemme steckt, der muß einfach unter Schutz gestellt werden…«
»Das ist zu spät, Mr. Sinclair. Ich war im Feuer.«
»Woher wissen Sie das? Ich dachte, Sie könnten sich nicht mehr daran erinnern?«
»Das sagt mir mein Inneres.«
»Sie meinen die Hitze.«
»Ja, und sie wird stärker und stärker. Ich warte nur darauf, daß sie ausbricht.«
»Wo wohnen Sie, Herr Pucheim?«
»In einem kleinen Frühstückshotel.«
»Okay, ich bringe Sie hin. Sie packen dort Ihre Sachen und stehen von diesem Zeitpunkt an unter Polizeischutz. Es ist das einzige, was ich Ihnen anbieten kann.«
»Zu spät.«
»Warten wir es ab.« Ich winkte den jungen Kellner herbei und verlangte die Rechnung.
Pucheim tat nichts. Er hatte sich auf dem Stuhl zurückgelehnt. Er bewegte sich auch nicht. Die Arme hingen rechts und links nach unten, als gehörten sie gar nicht zu ihm. Sein Blick war gegen die Decke des Lokals gerichtet. Sein Mund stand offen, und ich hörte Pucheims heftige Atemzüge.
Auf das Wechselgeld verzichtete ich. Der Kellner ging, nachdem er Pucheim noch einen seltsamen Blick zugeworfen hatte. Ich war schon aufgestanden und hatte meine Jacke von der Rückenlehne genommen. Rasch streifte ich sie über und sprach Pucheim an. »Kommen Sie. Je eher, um so besser.«
»Nein.«
»Los, reißen Sie sich zusammen.« Ich trat an die linke Tischseite heran und faßte nach seiner Schulter. Den Mantel hatte Pucheim aufgehängt. Er trug nur den recht dünnen braunen Pullover, und unter dem Stoff spürte ich seine Haut - und die Hitze!
Das war schon keine Wärme mehr. Das war eine richtige Hitze, die von ihm ausstrahlte.
Unnatürlich, aber für mich der schlimme Beweis, daß er mit seiner Prognose recht hatte.
Paul Pucheim hatte meine heftige Reaktion mitbekommen und drehte mühsam den Kopf. »Was immer Sie auch denken mögen, Mr. Sinclair, es ist zu spät. Glauben Sie mir. Sie schaffen es nicht. Wazlaws Rache, sie steckt in mir. Sie ist da. Sie ist verflucht. Wen sie einmal erwischt hat, der wird sie nicht mehr los.«
»Sie bleiben jetzt ruhig sitzen. Ich werde einen Notarzt alarmieren, damit Sie in ein Krankenhaus kommen.«
»Nein, nein, keine Mühe, keine Mühe…« Seine Stimme wurde schwächer, während ich bereits mein Handy in der Hand hielt. Ich wollte die Nummer eintippen, doch dazu kam es nicht mehr.
Paul Pucheim verkrampfte sich. Er sah noch so aus, als wollte er sich von seinem Stuhl erheben, aber er krampfte seine Hände um die Lehnen und drückte sich so wieder zurück. Sein Gesicht zeigte einen starren Ausdruck und war auf eine gewisse Art und Weise entstellt. Ich vergaß mein Handy und konnte nur ihn anschauen, der verzweifelt versuchte, Luft zu bekommen.
Der Schweiß trat immer stärker hervor. Er keuchte seinen Atem hinaus und ich spürte, daß er heiß war.
»Ich werde verbrennen!«
Nur allzu deutlich erinnerte ich mich wieder an diese Worte.
Dann zuckte sein Körper hoch, zugleich veränderte sich die Farbe seines Gesichtes und die der Hände. Ich war nicht einmal schnell genug, das Kreuz hervorzuholen, denn alles weitere ging blitzschnell. In der nächsten Sekunde stand Paul Pucheim in Flammen!
***
Es war kein normales Brennen. Die Flammenzungen schossen nicht aus seinem Kopf hoch, um die Haare zu verkohlen. Sie züngelten weder aus den Ohren, dem Mund oder den Nasenlöchern hervor, sie blieben in seinem Körper, der eine irrsinnige Hitze abstrahlte, so daß ich nicht nahe genug an ihn herankam. Die Zeit lief natürlich normal ab, mir kam sie jedoch verlangsamt vor. Ich war dabei, die Kette mit dem Kreuz über den Kopf zu streifen, was auch Sekunden kostete. Genau in dieser Zeitspanne lief das Schreckliche vor meinen Augen ab, und zum Glück war nur ich der einzige Zeuge.
Kein anderer Gast und auch niemand vom Personal befand sich in der Nähe.
Das Gesicht quoll auf, als sollte es zerplatzen. Die innere Hitze blähte die Wangen auf, auch die Stirn wölbte sich. Die Haut verlor ihre Festigkeit. Sie wurde transparent, und ich sah sehr deutlich das rote Glühen dahinter.
Pucheim trat mit den Beinen um sich. Er zitterte auf seinem Stuhl.
Er krallte sich noch immer mit seinen Händen fest, dann hörte ich ein Zischen und hatte endlich auch mein Kreuz
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