11 - Die Helden des Westens
das macht uns jeder gute Westmann nach. Wer es nicht sehr bald fertigbringt, eine Fährte oder Spur zu lesen, der mag sich in Gottes Namen schleunigst wieder von dannen machen, denn er könnte hier im Westen gar nicht existieren. Alle berühmten Jäger haben ihre Erfolge neben ihrer Kühnheit, List und Ausdauer auch dem Umstand zu verdanken, daß jede Fußstapfe, die sie sehen, für sie ein deutlich geschriebener Brief ist, welchen der Betreffende ihnen mit oder ohne Absicht zurückgelassen hat. Wer aber kein Verständnis für solche Briefe hat, der wird sehr bald eine Kugel oder einen guten Messerstich erhalten und an irgendeiner Stelle verfaulen, an welcher es nicht gut möglich ist, ihm ein Denkmal zu errichten. Mein Bruder hat gesagt, daß sich hier keine Blutlache befinde, und er hat recht gehabt. Eine ganze, große Lache gibt es freilich nicht, aber ein wenig Blut ist doch zu sehen. Diese kleinen, dunklen Stellen im Sand rühren von Blutstropfen her. Derjenige, welcher hier lag, war also verwundet, und zwar schwer, denn man ersieht aus der Spur, daß er sich vor Schmerzen am Boden krümmte. Schaut euch nur das nebenan stehende Knieholz genau an und den Sand, welcher sich unter den niedrig kriechenden Zweigen desselben befindet! Der arme Teufel hat vor Schmerz die Äste losgerissen und die Finger in die Erde gekrallt. Könnt ihr mir vielleicht sagen, an welcher Stelle seines Körpers er verwundet war?“
„Um dies sagen zu können, müßte man geradezu allwissend sein.“
„O nein! Eine Wunde am Kopf oder im Oberkörper läßt mehr Blut laufen, als hier vorhanden ist. Die Verletzung wurde ihm am Unterleib zugefügt, woraus sich die Qualen, welche er litt, erklären lassen. Und nun seht weiter, wie nebenan das Holz zerstampft ist, und wie die Zweige auseinandergerissen sind bis dort hinüber, wo der unverwundete Indianer lag! Und betrachtet einmal diesen unscheinbaren Gegenstand, welcher hier am Boden liegt und von euch noch gar nicht beachtet wurde! Könnt ihr mir vielleicht sagen, was es ist?“
Er nahm ein Stückchen Leder vom Boden auf. Es war früher hell gegerbt gewesen, von der Zeit aber dunkel gefärbt worden und wurde durch Einschnitte in lange, sehr schmale Streifen geteilt. Die sechs betrachteten es genau, schüttelten aber die Köpfe.
„Das ist“, erklärte Jim, „das losgerissene Stückchen einer ausgefransten Hosennaht, indianische Arbeit. Derjenige, welcher hier lag, war also auch ein Indianer. Er trug Leggins, deren Leder mit dem Gehirn eines Hirsches gegerbt worden war. Er hat vor Schmerz die Finger in die Leggins gekrallt und dieses kleine Fransenstück losgerissen. Ein Schuß in den Unterleib ist keineswegs das höchste der Gefühle. Wenn euch eine Kugel im Eingeweide sitzt, so werdet ihr euch wie Würmer krümmen. Sollte mich wundern, wenn dieser Indsman sich nicht bereits in den ewigen Jagdgründen befände. Er kann die Fortsetzung des Rittes unmöglich lange ausgehalten haben, zumal er zu zweien auf einem Pferd sitzen mußte!“
„Er ist fortgeritten?“ fragte Gibson. „Und zwei auf nur einem Pferd?“
„Jawohl, Master, ganz gewiß ist es so. Kommt nun einmal ein Stück von hier fort, in der Richtung, aus welcher diese Leute gekommen sind!“
Er verließ den Platz und schritt nach Nordost zu. Die anderen folgten ihm neugierig, auf was er sie noch aufmerksam machen werde. Er schritt bis zur Kreislinie fort, welche er vorhin beschrieben hatte. Dort blieb er stehen und sagte:
„Mesch'schurs, ihr erhaltet gegenwärtig sozusagen Unterricht im Spurenlesen. Wenn ihr Gelegenheit findet, das bald auch anderwärts geboten zu erhalten, so wird man euch nicht mehr lange ‚grün‘ nennen können, vorausgesetzt natürlich, daß ihr Anlagen habt, Westmänner zu werden. Wollte ich nur euern Vorteil berücksichtigen, so könnte ich euch eine sehr lange Rede halten, um euch die hiesigen Spuren ausführlich zu erklären. Aber dazu habe ich keine Zeit. Ich muß mich sputen, denn wir haben eine sehr gefährliche Räuber- oder Mörderbande vor uns, und zugleich gilt es, einen oder doch vielleicht zwei Indianer zu retten, welche von dieser Bande verfolgt werden. Ich will mich also so kurz wie möglich fassen. Hier, wo wir stehen, sind die beiden Indianer vorübergekommen, von denen wir sprachen, der verwundete und der unverwundete. Der erstere hat die Wunde nicht erst dort am Platz erhalten, wo er lag, sondern er hat sie bereits hier gehabt. Ich schließe daraus, daß die beiden ihre Pferde
Weitere Kostenlose Bücher