11 Kicker und ein falsches Spiel
Schweigen.
»Katanatscho!«, verkündet Speckmann und blickt visionär in die Ferne.
»Catenaccio«, verbessert Flo. »Eine italienische Defensivtaktik aus den 60er-Jahren. Spielt heute kein Mensch mehr.«
»Schnauze, König! Wir werden der Welt heute zeigen, was perfektes Katanatscho ist. Dann können sich die Portugiesen schön die Zähne an uns ausbeiÃen. Mit diesem Riegel hier«, er tippt auf die vier Kreuze, die sich unmittelbar vor dem eigenen Tor befinden, »ist unser Kasten so sicher wie Fort Knox. Felix, Basti, Paco, Pablo, das ist euer Job. Als zusätzliche Absicherung spielen wir mit einer Doppelsechs vor der Viererkette.« Speckmann zeichnet quietschend zwei weitere Kreuze ein. »Ich habe hier an Danny und Flo gedacht, falls sich der Herr KlugscheiÃer für ehrliche Abwehrarbeit nicht zu schade ist.«
Flo wischt sich gelassen einen Fussel von der Schulter.
»Ich erwarte auf dem Feld absolute Disziplin. Wer seine Position nicht einhält, ist sofort wieder drauÃen, habt ihr mich verstanden?«
»Entschuldigen Sie, Herr Speckmann â¦Â«
Michi ist immer so höflich.
»Hm?«
»Wenn wir alle in der Abwehr spielen, wer soll dann die Tore schieÃen?«
»Das erkläre ich dir, wenn du aus den Windeln raus bist, mein Kleiner«, antwortet Speckmann mit gröÃter Liebenswürdigkeit. »Vorne geht immer was. Das wusste schon Sepp Herberger, und das weià auch Günter Speckmann. Also auf gehtâs zum Warmmachen!«
Mit diesen Worten reiÃt er die Tür auf und stampft auf den Gang hinaus. Die Tür schlägt gegen die Kabinenwand, bevor sie krachend ins Schloss fällt.
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Als der Schiedsrichter das Spiel um Punkt 15 Uhr freigibt, haben wir unser Tor nach allen Regeln der Kunst verbarrikadiert. Allerdings ohne unseren etatmäÃigen Abwehrchef Benno. Der schmort weiterhin auf der Bank.
Die Portugiesen aus Moordorf scharen sich sofort um unseren Strafraum und passen den Ball von der rechten auf die linke Seite und wieder zurück. Wie beim Handball wandert das Spielgerät um den Sechzehner, der bei uns ein Zehner ist. Unsere Abwehr verschiebt sich von einer auf die andere Seite. Das ist hier wie Schattenboxen. Niemand geht ernsthaft zum Angriff über.
Nach vier Minuten fliegt der erste Verzweiflungsschuss der Portugiesen auf unser Tor zu. Jaromir fängt den Ball mit einer Hand und rollt ihn zu Pablo. Zögerlich bereiten wir einen Gegenstoà vor, doch als Danny kurz vor der
Mittellinie den Ball verstolpert, ziehen wir uns blitzschnell wieder in die Verteidigung zurück, und das alberne FuÃballballett geht von vorne los.
Wir machen uns hier doch komplett lächerlich, denke ich und bin offenbar nicht allein mit diesem Gedanken. Als sich Flo den Ball erkämpft, spielen wir einen schnellen Doppelpass und befinden uns unversehens jenseits der Mittellinie. Mit einer eleganten Finte lässt Flo einen weiteren Gegenspieler aussteigen und sieht im Augenwinkel, wie Danny die linke AuÃenbahn entlang sprintet. Der wird mustergültig bedient, zieht nach innen und schlenzt den Ball nur um Zentimeter am langen Pfosten vorbei.
»Danny, zurück!«, brüllt Speckmann. »Du hast da vorne nichts zu suchen!« Auch Basti wird es vor Jaromirs Tor zu langweilig. Unbemerkt von Freund und Feind pirscht er sich an den gegnerischen Strafraum heran und nagelt einen Abpraller per Dropkick an die Latte. Speckmann tobt: »Basti, was soll der Schei�« Auch Wilfried ist aufgesprungen und rudert hektisch mit den Armen.
Wir aber haben Blut geleckt und lassen nicht locker. Daran kann auch Speckmanns Donnerwetter in der Pause nichts ändern. Michi und Benno sind jetzt für Basti und Danny im Spiel, und als hätten wir eine stumme Verabredung getroffen, werfen wir unsere aufgezwungene Fort-Knox-Taktik mehr und mehr über den Haufen. Wie befreit spielen wir plötzlich auf und erinnern uns an all das, was Andi uns beigebracht hat.
Da mag Speckmann an der Seitenlinie einen Tanz aufführen wie Rumpelstilzchen und seine sinnlosen Kommandos
über den Platz brüllen. Wir stellen die Ohren auf Durchzug, lassen den Ball zirkulieren und stürzen die Moordorfer von einer Verlegenheit in die andere.
Selbst Benno scheinen Flügel zu wachsen. Dabei war er nach der Pause noch so missmutig aufs Feld gestapft, als sei es unter seiner Würde, sich von diesem Trainer einwechseln zu
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