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11 - Nie sollst Du vergessen

11 - Nie sollst Du vergessen

Titel: 11 - Nie sollst Du vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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andere Gegend in Betracht gezogen, wo das Wohnen vielleicht preiswerter, dafür aber für die Nerven strapaziöser gewesen wäre. Sie haben äußerst sparsam gelebt, jeden Penny zweimal umgedreht, haben vermietet und sich Kosten und Arbeit, die ein großes Haus mit sich bringt, mit meinem Vater geteilt. Aber mit einem Wunderkind - wie mein Großvater mich zu nennen pflegt - in der Familie hat niemand gerechnet und ebenso wenig mit den Kosten, die anfallen, um das Talent dieses Wunderkinds zur Reife zu bringen.
    Und ich mache es ihnen nicht leicht. Wann immer Raphael hier oder da eine zusätzliche Unterrichtseinheit empfiehlt, ein, zwei oder drei zusätzliche Stunden mit dem Instrument, erhebe ich leidenschaftlich Anspruch auf diese Zeit. Sie sehen, wie ich unter Raphaels Führung gedeihe: Er tritt ins Haus, und ich warte schon auf ihn, die Geige in der einen Hand, den Bogen in der anderen.
    Es muss also eine finanzielle Möglichkeit zur Fortsetzung meines Unterrichts geschaffen werden, und meine Mutter schafft sie.

1
    Die Erinnerung an eine Berührung trieb Ted Wiley in die Nacht hinaus. Er hatte sie von seinem Fenster aus beobachtet, obwohl er eigentlich gar nicht hatte spionieren wollen. Die Zeit: kurz nach ein Uhr nachts. Der Ort: die Friday Street in Henley-on-Thames, sechzig Meter vom Fluss entfernt, direkt vor ihrem Haus, aus dem die beiden erst Augenblicke zuvor auf die Straße hinausgetreten waren, die Köpfe eingezogen, um sich nicht an dem Türsturz zu stoßen, der aus einer Zeit stammte, als Männer und Frauen kleiner und ihre Rollen klarer definiert waren.
    Ted Wiley hatte nichts gegen eine klare Rollenverteilung alten Stils. Aber sie hatte etwas dagegen. Und wenn er bisher nicht begriffen hatte, dass Eugenie sich nicht einfach und bequem als »seine« Frau würde einordnen lassen, so hatte er das spätestens in dem Moment erkennen müssen, als er die beiden - Eugenie und den groß gewachsenen, hageren Fremden - draußen auf dem Bürgersteig in inniger Umarmung sah.
    Deutlicher geht's nicht, hatte er gedacht. Sie will, dass ich das sehe. Sie will, dass ich sehe, wie sie ihn umarmt und dann ihre Hand an seine Wange legt, als sie sich von ihm löst. Zum Teufel mit dieser Frau! Sie will, dass ich sie sehe.
    Natürlich war das nur seine Interpretation. Hätten sich Umarmung und Berührung zu einer unverfänglicheren Zeit zugetragen, so hätte sich Ted die bedrohlichen Gedanken, die in seinem Kopf Gestalt anzunehmen begannen, sofort ausgeredet. Es kann überhaupt nichts zu bedeuten haben, da sie es auf offener Straße tut, hätte er sich gesagt; am helllichten Tag, in der Öffentlichkeit, im Herbstsonnenschein vor sämtlichen Nachbarn und vor mir ... Nein, diese Berührung kann nichts zu bedeuten haben, da sie doch weiß, wie leicht ich sie dabei beobachten kann ... Aber stattdessen dachte Ted an alles, was es bedeuten kann, wenn ein Mann nachts um ein Uhr das Haus einer Frau verlässt, und diese Gedanken breiteten sich aus wie ein giftiges Gas, das in den folgenden sieben Tagen immer mehr Raum gewann, während er - voll ängstlicher Nervosität jede ihrer Gesten und Bemerkungen interpretierend - auf ein Wort wartete. Etwa: »Ach Ted, habe ich dir übrigens erzählt, dass mein Bruder« - oder mein Vetter, mein Vater, mein Onkel, der homosexuelle Architekt, der den Anbau am Haus machen will - »mich neulich abends besucht hat? Er ist bis nach Mitternacht geblieben, ich dachte schon, er würde überhaupt nicht mehr gehen. Vielleicht hast du uns draußen vor meinem Haus gesehen, wenn du hinter deiner Jalousie gelauert hast, wie du das ja in letzter Zeit zu tun pflegst.« Nur wusste Ted nichts von einem Bruder, Vetter, Onkel oder Vater, und wenn es einen homosexuellen Architekten gab, so hatte Eugenie ihn bisher mit keinem Wort erwähnt.
    Sie hatte allerdings erklärt, sie habe ihm etwas Wichtiges zu sagen. Als er gefragt hatte, worum es gehe, und sich dabei gedacht hatte, es wäre ihm lieber, sie würde es ihm rundheraus sagen, falls es der tödliche Schlag sein sollte, hatte sie erwidert: Bald, so ganz bin ich noch nicht bereit, meine Sünden zu beichten. Dabei hatte sie ihm leicht die Hand an die Wange gelegt. Ja. Ja, genau. Die gleiche Berührung!
    Und darum legte Ted Wiley nun an einem regnerischen Abend Mitte November gegen neun Uhr seinem Hund, einer alten Golden-Retriever-Hündin, die Leine an, um ihn auszuführen. Sie würden, erklärte er der Hündin, die, von Arthritis und einer Aversion gegen Regen

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