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11 - Nie sollst Du vergessen

11 - Nie sollst Du vergessen

Titel: 11 - Nie sollst Du vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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diese Prozedur Sinn hat, ob der Weg, den ich eingeschlagen habe, wirklich der ist, der mich in das Leben zurückführen wird, das ich einmal kannte und das mir so viel bedeutete.
    Ich sagte: »An dem Abend, als es geschah - da war ich in meinem Zimmer. Daran erinnere ich mich. Ich erinnere mich an das Rufen und Schreien und an die Sanitäter -mehr an ihre Stimmen als an einzelne Personen -, und ich entsinne mich jetzt, dass Sarah-Jane, die mit mir in meinem Zimmer war, an der Tür stand und lauschte und dann sagte, dass sie nun doch nicht weggehen würde. Aber ich erinnere mich nicht, vor Sonias Tod davon gehört zu haben, dass sie gehen wollte.«
    Die rechte Hand meines Vaters, die um den Hals der Guarneri lag, verkrampfte sich. Nein, das war natürlich nicht die Reaktion, die er sich erhofft hatte, als er das Instrument aus dem Kasten genommen hatte.
    »Eine Geige wie diese muss gespielt werden«, sagte er. »Und sie muss ordentlich aufbewahrt werden. Sieh dir den Bogen an. Sieh dir den Zustand des Bezugs an. Wann hast du das letzte Mal einen Bogen weggelegt, ohne ihn zu lockern? Oder denkst du an solche Kleinigkeiten gar nicht mehr, seit du deine ganze Energie auf die Erforschung der Vergangenheit konzentrierst?«
    Ich dachte an den Tag, an dem ich zu spielen versucht und an dem Libby mich gehört hatte, an dem mir zur Gewissheit geworden war, was ich bis dahin nur geahnt hatte: dass mir die Musik genommen war, für immer.
    Mein Vater sagte: »So was hast du sonst nie getan. Nie hast du diese Geige einfach auf dem Fußboden liegen lassen. Sie wurde immer so aufbewahrt, dass sie weder Hitze noch Kälte ausgesetzt war, nie in der Nähe eines Heizkörpers oder eines offenen Fensters.«
    »Wenn Sarah-Jane vor diesem schrecklichen Abend eigentlich gehen wollte, warum ist sie dann doch nicht gegangen?«, fragte ich.
    »Die Saiten sind seit dem Abend in der Wigmore Hall nicht mehr gereinigt worden, richtig? Ich kann mich nicht erinnern, dass du irgendwann einmal nach einem Konzert vergessen hast, die Saiten zu reinigen, Gideon.«
    »Es hat kein Konzert stattgefunden. Ich habe nicht gespielt.«
    »Nein. Und du hast auch seither nicht einen Ton gespielt. Du hast überhaupt nicht daran gedacht zu spielen. Du hast nicht den Mut gefunden, zu -«
    »Sag mir, wie das mit Sarah-Jane Beckett war.« »Verdammt noch mal, es geht hier nicht um Sarah-Jane Beckett.«
    »Warum antwortest du mir dann nicht?«
    »Weil es nichts zu sagen gibt. Sie wurde gefeuert. Okay? Auch Sarah Jane Beckett wurde gefeuert.«
    Diese Antwort hatte ich nicht erwartet. Ich hatte gedacht, er würde mir sagen, dass sie sich verlobt oder eine bessere Stellung gefunden oder beschlossen hatte, beruflich andere Wege zu gehen. Aber dass auch sie, genau wie Katja Wolff, entlassen worden war - diese Möglichkeit hatte ich überhaupt nicht in Betracht gezogen.
    »Wir mussten versuchen zu sparen«, sagte mein Vater. »Wir konnten es uns nicht leisten, Sarah-Jane Beckett, Raphael Robson und eine Kinderfrau für Sonia zu bezahlen. Deshalb hatten wir Sarah-Jane gekündigt, mit einer Frist von zwei Monaten.«
    »Wann?«
    »Kurz bevor wir uns klarmachten, dass wir Katja Wolff würden entlassen müssen.«
    »Und als dann Sonia starb und Katja weg war -«
    »- konnte Sarah-Jane bleiben.« Er drehte sich um und legte die Guarneri wieder in den Kasten. Seine Bewegungen waren langsam; durch die Skoliose behindert, wirkte er wie ein Greis.
    Ich sagte: »Dann könnte ja auch Sarah-Jane -«
    »Sie war mit Pitchford zusammen, als deine Schwester getötet wurde, Gideon. Sie schwor einen Eid darauf, und Pitchford bestätigte es.«
    Mein Vater richtete sich auf und wandte sich mir wieder zu. Er sah todmüde aus. Es bereitete mir tiefes Unbehagen und Schuldgefühle, ihn zu zwingen, Dingen ins Auge zu sehen, die er vor Jahren zusammen mit meiner Schwester begraben hatte. Aber ich musste weitermachen. Zum ersten Mal seit der Episode in der Wigmore Hall - ja, ich gebrauche dieses Wort so bewusst wie Sie zuvor, Dr. Rose - hatte ich den Eindruck, dass wir Fortschritte machten, und da konnte ich nicht einfach aufgeben.
    »Warum hat sie nicht geredet?«, fragte ich.
    »Ich sagte doch eben -«
    »Katja Wolff, meine ich, nicht Sarah-Jane Beckett. Cresswell-White erzählte mir, dass sie nur ein einziges Mal gesprochen hat - mit der Polizei -, und dann nie wieder. Weder mit der Polizei noch mit sonst jemandem. Über das Verbrechen, meine ich. Über Sonia.«
    »Die Frage kann ich dir nicht

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