11 - Nie sollst Du vergessen
dass du verschwindest!«, schrie sie ihn an. Und an diese schreiende Stimme und diese Worte erinnerten sich später die Nachbarn.
»Erzählen Sie uns einfach die Geschichte, Mrs. Edwards«, hatten die Bullen gesagt, zu Füßen den blutverschmierten Leichnam ihres Mannes. »Sie brauchen uns nur zu erzählen, was passiert ist, dann regeln wir das alles auf dem schnellsten Weg.«
Sie hatte mit Gefängnis dafür bezahlt, dass sie der Polizei ihre Geschichte erzählt hatte. Das war deren Art gewesen, die Dinge auf dem schnellsten Weg zu regeln. Fünf Jahre gemeinsamen Lebens mit ihrem Sohn hatte es sie gekostet, und als sie herausgekommen war, hatte sie nichts gehabt, und die folgenden fünf Jahre hatte sie geschuftet, gebettelt und geborgt, um die verlorene Zeit wieder einzuholen. Katja hatte Recht, und Yasmin wusste es. Man musste schon komplett verrückt sein, um dem Wort eines Bullen zu trauen.
Aber die Behauptungen des Bullen über Katjas Abwesenheiten - von ihrem Arbeitsplatz, von der Wohnung, von weiß Gott wo - waren nicht das Einzige, womit sich Yasmin konfrontiert sah. Es ging auch noch um das Auto. Und ob man dem schwarzen Kerl trauen konnte oder nicht - der Wagen war beschädigt.
Yasmin sagte: »Der eine Scheinwerfer am Auto ist kaputt, Katja. Er hat sich das gestern Abend angesehen, der Bulle, meine ich. Er wollte wissen, wie das passiert ist.«
»Und fragst du mich das jetzt?«
»Ja, schon.« Energisch verrieb Yasmin die Scheuermilch in der alten Wanne, als könnte sie so die Stellen entfernen, wo das Metall durch das Email schimmerte. »Ich kann mich nicht erinnern, dass ich irgendwo dagegengefahren bin. Du?«
»Warum will er das überhaupt wissen? Was geht es ihn an, wie der Scheinwerfer zerbrochen ist?«
Katja war fertig mit dem Zähneputzen und beugte sich über das Waschbecken, um im Spiegel ihr Gesicht zu mustern, wie sie es immer tat, wie auch Yasmin es nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis monatelang getan hatte, um sich immer von neuem zu vergewissern, dass sie wirklich hier war, in diesem besonderen Raum, ohne Aufseher, ohne Gitter, ohne Schloss und Riegel, vor sich ihr Leben - das, was von ihm übrig war -, und verzweifelt bemüht, sich von dieser unstrukturierten Spanne leerer Jahre keine Angst machen zu lassen.
Katja wusch sich das Gesicht und trocknete es. Sie wandte sich um und lehnte sich mit dem Rücken an das Waschbecken, während Yasmin fortfuhr, die Wanne zu reinigen. Als sie die Hähne zudrehte, sagte Katja: »Was will er von uns, Yas?«
»Von dir«, verbesserte Yasmin. »Von mir will er gar nichts. Es geht um dich. Wie ist der Scheinwerfer zu Bruch gegangen?«
»Ich wusste nicht mal, dass er kaputt ist«, antwortete Katja.
»Ich habe ihn nie beachtet ... Yas, stellst du dich regelmäßig vor dein Auto und inspizierst es? Hast du gewusst, dass der Scheinwerfer kaputt ist, bevor er dich darauf aufmerksam gemacht hat? Nein? Er kann schon seit Wochen kaputt sein. Ist es denn so schlimm? Das Licht funktioniert doch noch? Wahrscheinlich ist uns auf dem Parkplatz jemand dagegengefahren. Oder auf der Straße.«
Das war gut möglich. Aber kamen Katjas Erklärungen nicht irgendwie zu hastig, waren sie nicht zu bemüht? Und warum fragte sie nicht danach, welcher Scheinwerfer zerbrochen war? Wäre es nicht normal, wissen zu wollen, um welchen Scheinwerfer es sich handelte?
Katja fügte hinzu: »Es kann genauso gut passiert sein, als du den Wagen gefahren hast. Wir wissen ja nicht, wann es passiert ist.«
»Stimmt«, sagte Yasmin gedehnt.
»Was soll dann -«
»Er wollte wissen, wo du warst. Er war bei deiner Arbeitsstelle und hat sich nach dir erkundigt.«
»Sagt er. Aber wenn er wirklich mit ihnen gesprochen hat und sie ihm erzählt haben, dass ich vier Tage nicht da war, warum hat er das dann nur dir gesagt und nicht mir? Ich war doch hier, ich stand mit euch beiden im Zimmer. Warum hat er mich nicht nach einer Erklärung gefragt? Überleg dir das mal.«
Yasmin musste einräumen, dass Katjas Entgegnung logisch und der Überlegung wert war. Der Constable hatte Katja tatsächlich nicht nach einer Erklärung ihrer Abwesenheit von ihrer Arbeitsstelle gefragt, als sie alle drei gemeinsam im Wohnzimmer gewesen waren. Er hatte nur mit Yasmin darüber gesprochen, beinahe vertraulich, als wären sie alte Freunde, die sich nach langer Zeit wieder getroffen hatten.
»Du weißt doch, was das bedeutet«, fuhr Katja fort. »Er will einen Keil zwischen uns treiben, weil ihm das nützlich
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